Marie Schwesinger und Julia Just im Gespräch zu »Werwolfkommandos. Rechter Terror vor Gericht« im Theater Landungsbrücken

Wie gut es ist, Leute vor sich zu haben, die Theater als eine grundlegende gesellschaftspolitische Verpflichtung betrachten, auf Dinge genau zu schauen, und zwar völlig unberührt von der Frage, ob man Theater heute noch braucht und wenn ja, für wen und in welchem Theatersaal – das ist alles so komplett unerheblich – das merkt man, wenn man der Regisseurin Marie Schwesinger und der Dramaturgin Julia Just gegenüber sitzt, um über ihr neuestes Projekt »Werwolfkommandos« zu sprechen.
Das Projekt passt wie ein Handschuh auf ein Frankfurt, das im Kunstverein soeben die aufwühlende Ausstellung »Three Doors« über die Vorkommnisse in Hanau am 19. Februar 2020 verabschiedet hat. Alle, die dort waren, sollten sich jetzt das Stück »Werwolfkommandos. Rechter Terror vor Gericht« anschauen. Es wird Ende Oktober und Anfang November an fünf Terminen in den Landungsbrücken gezeigt, und man wird sehen, wie überzeugend Kunst und Theater fähig sind, aktuelle politische Missstände aufzuarbeiten, zu spiegeln, den Kunstraum mit gesellschaftspolitischen Inhalten zu füllen, dorthin zu gehen, wohin keine Dokumentation – und auch keine Zeitung – mehr gehen kann. Weil sie ganz einfach weiter gehen können.
Marie Schwesinger, Julia Just und Fabiola Eidloth haben über anderthalb Jahre die Prozesse gegen Stephan Ernst und Marcus H. (Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke) und dem zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilten ehemaligen Bundeswehroffizier Franco A. verfolgt, im Gerichtssaal gesessen, mitgeschrieben, Erinnerungsprotokolle angelegt. Sie haben beobachtet, wie Sätze fallen, wie sie wirken, und dabei festgestellt, wie die Sprache Wahrheit herstellt – in diesem einen Moment, in dem die Wörter fallen – und sie haben sich überlegt, wie Theater mit seinen eigenen Mitteln hier eine Rolle spielen könnte. Exakt nach der Maxime: Ein Gerichtssaal ist dazu da, eine juristische Wahrheit zu sprechen, aber man muss es nicht dem Gerichtssaal überlassen, eine gesellschaftliche Wahrheit auszusprechen.
Und das tun sie jetzt, auf ihre Art.
Grundvoraussetzung dafür: Welche Fragen können im Gerichtssaal nicht beantwortet werden, welchen anderen Raum braucht es, damit diese Fragen beantwortet werden können? Wo kann der eigene Platz als Theatermacher*innen sein, welche inszenatorischen Freiheiten kann man sich da nehmen, kann man überspitzen, oder braucht es eine schlichte Form, genau wie im Gerichtsraum?
Beim Lübcke-Prozess war man stumm vor dem, was passiert war, sagen sie, auch die Anwesenheit der Familie hätte dafür gesorgt. Bei Franco A. habe sich dagegen fast so etwas wie ein Kampf entwickelt zwischen dem Richter und dem Angeklagten, der stets seine rechtsextreme Gesinnung verharmlost habe, und die Zeug*innen ebenso, die dazu befragt wurden.
Man kann sich richtig vorstellen, wie den beiden beim Zuhören schlecht wurde. Und da war es wichtig, nicht zu fiktionalisieren: »Beim Prozess gegen Franco A. haben wir über fünfhundert Seiten mitgeschrieben, daraus wurden etwa 20, 30 Seiten ausgewählt. Sie sollen die Wirkung entfalten, die wir auch gespürt haben im Gerichtssaal.«
Und dazu 140 Seiten übelster antisemitischer Stereotypen in der Masterarbeit des Bundeswehroffiziers. Man kann sich kaum vorstellen, was es bedeutet, diese 140 Seiten zu kennen. Aber wie kann man die Gefährlichkeit und Heftigkeit dieser Sprache trotzdem begreifbar machen und diese Sprache dabei nicht redramatisieren?
»Wir haben grundsätzlich für dieses Stück zwei Probleme: Gerichtsprozesse sind immer täterorientiert, und im Gericht wird Tätersprache reproduziert. Was machen wir damit? Die Antworten sind divers. Wir haben das Mittel der Überhöhung benutzt. Da sitzt ein rechtsextremer antisemitischer Bundeswehrsoldat, der die ganze Zeit sagt, ich bin kein Rassist, ich bin kein Antisemit, ich finde Juden ja schon problematisch, aber ich bin kein Antisemit. Wenn man dazu einen Chor verfasst, zeigt allein diese Anhäufung, wie absurd diese Sätze aus dem Mund eines Bundeswehrsoldaten klingen«.
»Und wir nutzen das Mittel der performativen Haltung: Der Spieler weigert sich, die Sätze zu sprechen, indem er sie trotzdem benennt: Ich soll das hier sprechen, aber ich kann das nicht, vergiss es, das mache ich nicht. Wir wollten weder Franco A. noch Stephan Ernst in den Mittelpunkt zu stellen. Deswegen haben wir Textflächen geschrieben, um den Fokus zu verschieben. Wir wollen nicht in den Kopf von Franco A. kriechen. Wir wollen die Sprache aufeinander prallen lassen und nicht psychologische Momente suchen.«
Das ist jetzt einfach mal ausgesprochen klug.
Der Titel des Theaterabends bezieht sich auf das Plädoyer der Bundesstaatsanwaltschaft im Prozess gegen Stephan Ernst, in dem der Begriff »Werwolfkommando« gefallen ist. Damit wird die Untergrundorganisation bezeichnet, die Heinrich Himmler am Ende des zweiten Weltkrieges gegründet hatte, um Guerillaaktionen gegen die Alliierten und »Feinde des Vaterlandes« zu verüben. Die Bundesstaatsanwaltschaft hat mit der Verwendung dieses Begriffs den Mord an Walter Lübcke in einen Chronologie des rechten Terrors eingeordnet. Diese Struktur offen zu legen, zu zeigen, dass Verbindungen zu ziehen sind, auch im Fall von Franco A., dieser Aufgabe will sich das Team stellen. Eigentlich sitzt das Publikum in einer Art Gerichtssaal, der hier der Zuschauerraum ist, und vollzieht die Prozesse nach, erblickt die Strukturen, die beide miteinander verbinden. Und die sind vielfältig, vielfältiger, als man denkt.
Die Darsteller*innen sind Nicolai Gonther, Florian Mania, Anabel Möbius und Rosanna Ruo. Bühnen- und Kostümbild: Marion Schindler, Komposition und Sounddesign stammen von Milan Loewy und Tim Roth.

Susanne Asal / Foto: Christian Schuller

Termine: 20., 23.10., 20 Uhr, 22.10., 19 Uhr.
www.landungsbruecken.org

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