Kampf im Verborgenen
Wenn man für die Filme von Roman Polanski ein gemeinsames Thema suchen sollte, dann drängt sich das der Verunsicherung auf, die bis zur Bedrohung gehen kann. Liebt es dieser Filmemacher doch, seinen Protagonisten den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Im »Tanz der Vampire«, seinem nach wie vor besten Film, hat er dies mit viel Witz getan, seine jüngste Arbeit ist dagegen ein Psychothriller. Aber an Ironie lässt er es auch hier nicht fehlen.
Polanskis Gattin Emmanuelle Seigner spielt die Schriftstellerin Delphine, die gerade ihr neues Buch, einen angesagten Bestseller, bewirbt. Die Signierstunde, in der begeisterte Leserinnen gewissermaßen als Dank für eine Widmung von sich erzählen, lässt die gestress-te Delphine vorzeitig abbrechen. Sie verweigert auch einer geheimnisvoll auftretenden jungen Verehrerin die Signatur. Doch genau dieser Frau mit dem schlichten Namen Elle – von Eva Green hintergründig gespielt und dabei an frühere Filmauftritte von Emmanuelle Seigner erinnernd – trifft sie auf einer Party mit Verlegern wieder, zu der sie nur widerwillig mitgegangen ist.
Beide freunden sich an und werden sich in ihrem Äußeren immer ähnlicher. Auch Elle ist eine professionelle Schreiberin, ein Ghostwriter für Prominente. Wie vom Himmel geschickt, erscheint sie der verunsicherten Delphine, die nicht nur Bewunderung für ihr neues Buch erntet. Sie bekommt auch Drohbriefe, weil sie ihre Mutter recht schonungslos in ihrem Roman verarbeitet hat. Das Ergebnis ist eine handfeste Schreibblockade.
Elle erledigt zunächst sämtliche Sekretariatsarbeiten für Delphine. Später zieht sie sogar in deren Wohnung ein. Es soll nur für ein paar Wochen sein, versteht sich. Elle übernimmt das Kommando, schließlich, als Delphine zurechtgemacht, sogar einen Termin in einer Schule. Andererseits verarbeitet Delphine die persönlichen Erzählungen Elles hinter deren Rücken zu einem neuen Buch. Ein Kampf im Verborgenen beginnt.
Wieder einmal erweist sich Polanski als ein Regisseur, der filmische Mittel souverän einzusetzen weiß. Hier ist es die subjektive Kamera, die der Icherzählung im Roman von Delphine de Vigan entspricht. Wie wir bei der Signierstunde zu Beginn die Sicht Delphines einnehmen und das Drängen der Leserinnen geradezu als einen bedrohlichen Überfall erleben, wie wir aus dem Krankenwagen heraus die Schaulustigen und die im letzten Moment hinter den sich schließenden Türen auftauchende Elle sehen – das sind nur zwei Beispiele, die von den außergewöhnlichen Qualitäten dieses Cineasten zeugen.
»Nach einer wahren Geschichte« ist nicht nur der Titel des Films, sondern auch der des Buches, das Delphine am Ende, wie Elle zurechtgemacht, vorstellt. Gab es Elle wirklich, fragt man sich. François Ozon ließ die Zuschauer nach der »Der andere Liebhaber« mit einer ähnlichen Frage zurück.
»Nach einer wahren Geschichte« ist so etwas wie eine Anthologie von Polanskis Werk. Psychisch labile Personen sind die in eine Psychose abgleitende Carol (Catherine Deneuve) aus »Ekel« und der einsame Bankangestellte Trelkovsky (Polanski selbst in »Der Mieter«), den eine Wohnung samt feindseliger Nachbarschaft in den Wahnsinn treibt. In »Der Ghostwriter« wird die dunkle Vergangenheit eines ehemaligen Premierministers aufgedeckt, und auch da gehen Vorstellung und Wirklichkeit ineinander über. Seine Frau habe Polanski auf Vigans Roman aufmerksam gemacht. »Lies ihn. Da ist vielleicht etwas, das dich interessieren könnte.« Sie hat ins Schwarze getroffen.