Eine Krankenschwester, die sich liebevoll um alte Menschen in deren Zuhause kümmert, gerät durch ein infames Interview in Verruf. Sie wird verdächtigt, ihren Neffen in jungen Jahren verführt zu haben und dadurch an dessen Verbrechen, der Entführung eines kleinen Mädchens, mitschuldig geworden zu sein.
Wer jetzt einen mitreißenden Thriller erwartet, wird enttäuscht sein. Koji Fukadas »A Girl Missing« erinnert vielmehr an das klassische japanische Kino der fünfziger Jahre, das sich Zeit ließ, seine Figuren an deren Handlungen zu ergründen. Was geschieht mit einer intakten Gemeinschaft, wenn ein Stein hineingeworfen wird? Dass am Ende ein Racheakt steht, ist eher eine Pointe als eine dramatische Zuspitzung in diesem nicht linear erzählten Film.
Es gibt ihn also noch, auch auf dem 21. Japanischen Filmfestival, den meditativen japanischen Film, freilich in neuem Gewand. Aber auch das als bizarres High-School-Drama beginnende und nach blutiger Wendung versöhnlich endende Werk »My Blood and Bones in a Flowing Galaxy« von SABU findet man im Programm. Dass es genau jenem Bild des modernen fernöstlichen Kinos entspricht, das hierzulande vom nicht mehr ganz so jungen Kinopublikum geschätzt wird, dürfte auch im Sinne des deutschen Co-Produzenten Rapid Eye Movies gewesen sein.
Aus den Anfängen im Gedränge der damaligen Experten im Studierendenhaus an der Bockenheimer Warte, das noch ganz unschuldig Studentenhaus hieß, ist mit der ständig steigenden Anzahl der Fans das weltgrößte Festival für japanisches Kino geworden. Die damit verbundenen Platzprobleme wird es auch in diesem Jahr nicht geben, denn das Festival findet zum zweiten Mal »nur« online statt. Sosehr das Kinoerlebnis fehlen wird, sosehr ist jetzt eine weite Verbreitung möglich. Von jedem Internetanschluss aus ist die Teilnahme möglich.
80 aktuelle japanische Kurz- und Langfilme sind sechs Tage lang deutschlandweit und einige auch außerhalb Deutschlands online zu sehen. Persönliche Gespräche mit den Filmemacherinnen und Filmemachern werden in den digitalen Raum verlagert.
Familiendramen bilden einen Schwerpunkt unter dem Titel »Family Matters – Die japanische Familie zwischen Tradition und Moderne«. Aber Thriller, Musical-Komödien, sozialkritische Dokumentarfilme und Independent-Animationsfilme dürfen nicht fehlen. Unter »Nippon Cinema« präsentiert Miwa Nishikawa, eine der wichtigsten Regisseurinnen Nippons, das Drama »Under the Open Sky« mit Nippon-Honor-Award-Preisträger Koji Yakusho in der Hauptrolle. »The Promised Land« von Takahisa Zeze ist ein raffiniertes Mystery-Drama über das eskalierende Beziehungsgeflecht in einem Dorf. Von Shinichiro Ueda, dem Regisseur des Kult-hits »One Cut of the Dead«, ist die Sekten-Komödie »Special Actors« zu sehen.
Über das Filmangebot hinaus gibt es zudem Nippon Culture, das digitale Rahmenprogramm mit über 40 interaktiven Workshops, Vorträgen, ungewöhnlichen Performances und Konzerten. Die Filmtheoretikerinnen Chantal Bertalanffy und Claudia Bertolé beschäftigen sich in ihren Online-Vorträgen mit Familienbildern im japanischen Kino.
Ein wenig Festivalatmosphäre zum Mitnehmen bietet erstmalig der Nippon Click & Collect Kiosk am Festivalzentrum im Künstlerhaus Mousonturm im Frankfurter Ostend. Auf www.NipponConnectionShop.de können japanische Snacks, Getränke, Filmposter und Festival-Goodies bestellt und während des Festivals im Mousonturm abgeholt werden.