In Zeiten des Terrors
Mit vielen Preisen, darunter dem Silbernen Löwen für die Beste Regie bei den Filmfestspielen von Venedig im letzten Jahr, kommt »Paradies« in unsere Kinos. Erzählt wird eine Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, der bereits für zahllose Filme den Hintergrund gebildet hat. Doch in der Art, wie er sie erzählt, unterscheidet sich dieser Film von vielen seiner Vorgänger.
Der russische Filmemacher Andrei Konchalovsky, der mit Werken wie »Onkel Wanja«, »Runaway Train« und »Der innere Kreis« hierzulande nur unter Cinephilen bekannt ist, nimmt nämlich in seinem 23. Spielfilm Nazi-Diktatur und Holocaust nicht einfach als Kulisse für eine erschütternde Geschichte. Sein Ziel ist vielmehr, gewissermaßen von innen heraus, von den Motiven der mehr getriebenen als handelnden Personen, ein totalitäres System zu schildern, das sich im Krieg befindet. Im Krieg gegen andere Staaten und gegen den jüdischen Teil der Bevölkerung.
Fresnais in der Bretagne, 1942. Drei Protagonisten stehen exemplarisch für drei Lebenswege in Zeiten des Terrors. Jules (Philippe Duquesne), ein französischer Polizeibeamter, kollaboriert nicht gerade enthusiastisch mit den deutschen Besatzern, weil er nur so Haus und Familie schützen zu können glaubt. Seiner Frau gegenüber betont er, nicht zur deutschen Gestapo zu gehören.
Olga (Julia Vysotskaya), eine russische Adelige, wird ihm vorgeführt. Sie ist verhaftet worden, weil zwei jüdische Kinder bei ihr entdeckt worden sind. Olga soll Namen von Résistance-Mitgliedern nennen und bekommt mit, wie es ihr ergehen kann, wenn sie standhaft leugnet. Um sich vor drohender Folter zu retten, macht sie Jules erotische Avancen. Doch bevor er darauf eingehen kann, wird er vor den Augen seines kleinen Sohnes von Widerstandskämpfern erschossen.
Ohne Jules landet Olga in einem Konzentrationslager, wo sie Helmut (Christian Clauß) begegnet, einem Geliebten aus der Vorkriegszeit. Der Adelsspross hat alle Bedenken beiseite gelegt, ist glühender Verehrer des Führers geworden und glaubt, als Hitlers Helfer ein deutsches Paradies auf Erden zu schaffen. Davon hat ihn Himmler, den Victor Sukhorov in einer etwas dick aufgetragenen Szene spielt, persönlich überzeugt. Kurzerhand ergreift der begeisterte Kenner russischer Literatur von Olga Besitz, was bei ihren Mitgefangenen blanken Hass erregt.
Im Lager ist die Aufgabe von SS-Standardenführer Helmut, Unregelmäßigkeiten, zu denen die Nazis natürlich nicht Menschenrechtsverletzungen, sondern Unterschlagungen und Bereicherungen der Diensthabenden zählen, gnadenlos zu verfolgen. Den selbstgefälligen Kommandanten Krause gibt Peter Kurth so bräsig, dass er sofort unter Verdacht gerät.
Doch wie schon gesagt, in einer gefälligen Inszenierung Spannung zu erzeugen, danach steht Konchalovsky nicht der Sinn. Er will aufklären, politisch und psychologisch. Seine Frage ist: Was geht in den Menschen vor? So hat er zwischen die Handlung à la ›cinéma vérité‹ Stellungnahmen der Protagonisten montiert. Wie in einem Verhör geben sie Gedanken und Gefühle preis. Das macht »Paradies« zwar theaterhaft, aber dieser Film über das Nazi-System – und in einer Bemerkung wird auch auf den Stalinismus verwiesen – bemüht sich um aufschlussreiche Einblicke in die Psyche, in die Gedankenwelten von Tätern und Opfern, die nicht so säuberlich getrennt sind, wie man annehmen könnte. Gerade deshalb kann er auch aufklärend wirken. Und das muss man von einem neuen Werk über den Zweiten Weltkrieg verlangen.