Piet Mondrian im Museum Wiesbaden

Piet Mondrian, der große Maler der Abstraktion, einer der prominentesten Vertreter geometrischer Kunst des 20. Jahrhunderts, war in seinen Anfängen ein ganz und gar naturalistischer Maler. Nur weiß das sonderbarer Weise kaum noch jemand. Im Museum Wiesbaden kann man jetzt diesem Phänomen nachspüren, der Kunst eines Mannes, dessen Frühwerk ganz überdeckt ist von dem bekannten, abstrakten Hauptwerk. Den 1872 geborenen Piet Mondrian kann man sich kaum als figurativen Maler denken. Die Ausstellung zeigt nun jene Werke, die so sehr überraschen: Landschaftsmalerei, entstanden Mitte der 1890er Jahre, dann die Phase des Übergangs zwischen 1908 und 1917. Und danach die bekannten abstrakten Bilder.
»Natur und Konstruktion« heißt die Schau in Wiesbaden, die deutlich machen will, dass es stets die Natur ist, die Mondrian im Sinn hat – auch noch in der Phase der Abstraktion. Selbst wenn der Naturbezug in seinem Hauptwerk nicht mehr rekonstruierbar ist, so ist er dennoch da – argumentiert Kurator Roman Zieglgänsberger: »Es war für uns spannend zu sehen, wie ernst er die Natur genommen hat. Das ist ganz wichtig, denn die Natur zieht sich durch sein ganzes Schaffen hindurch. Erst sind es Baumgruppen, Baumreihen, Spiegelungen im Wasser. Später wird die Natur auf einen Baum konzentriert, und dann ›pars pro toto‹ abstrahiert davon«.
Zurück zu den frühen Bildern: Bauernhöfe, Windmühlen, Bäume, Tiere auf Weiden – diese Bilder im Stil der Haager Schule sind das Fundament, auf dem Mondrians Abstraktionen beruhen. Die Bilder aus der De Stijl-Zeit, die ganz auf Farbe und Linie basieren. Mondrian ist ein Maler des Übergangs. Ein Maler des Umbruchs: Das, was sich seit dem späten 19. Jahrhundert binnen zwei Dekaden in der Kunst veränderte, lässt sich an diesem Werk beispielhaft ablesen.
Es macht große Freude, diesen Weg mitzugehen. Landschaften zu betrachten, die immer stärker grafisch reduziert werden. Die mal an Vincent van Gogh erinnern, dann den Pointilismus zitieren. An deren Endpunkt schließlich die Loslösung von der Natur stehen muss. In ähnlicher Weise näherte sich auch Kandinsky der Abstraktion. Am Ende dieser Entwicklung stehen jene Werke, für die Mondrian weltberühmt wurde: jene ikonischen Gitter, die Blau-Weiß-Rot-Gelb-Kompositionen mit der typischen schwarzen Umrahmung.
Die Schau zeigt 60 Arbeiten in acht Ausstellungsräumen – eine Retrospektive mit Werken aus allen Schaffensperioden: der ganze Mondrian. Da sind wunderschöne Entdeckungen zu machen, wie etwa jenes Werk, dass zwischen 1907 und 1908 entstanden ist: »Oostzijder Mühle« ist eines der faszinierenden Beispiele, die Mondrian am Scheideweg zeigen, zwischen Naturalismus und Abstraktion, zwischen Natur und Konstruktion. 1919 schließlich ist Mondrian am Ziel der Reise angekommen. Das erste Rasterbild entsteht. »Ich arbeite gerade an einer Sache, was einer Rekonstruktion des Sternenhimmels gleichkommt, aber ich versuche es ohne Rückbezug auf die Natur«, so fasste Mondrian damals seine Suche nach der künstlerischen Wahrheit zusammen.

Marc Peschke (Foto: © Sammlung Gemmentemuseum Den Haag)
Bis 17. Februar: Mi., Fr. 10–17 Uhr; Di., Do. 10–20 Uhr; Sa., So. 10–18 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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