»Colette« von Wash Westmoreland

Ein ›period piece par excellence‹, das nur beginnen kann mit einem Blick ins ländliche Schlafzimmer am frühen Morgen. Großer Spiegel, Katze auf dem Bett, die sich angelegentlich putzt, und draußen singen die Vögel. Die Gestalt der verstehenden Mutter erscheint im Spiegel, sie will Gabrielle aufwecken. Denn der Besuch von Willy ist angekündigt, und da geschieht etwas mit der Heldin: Das kann nur zu sittlichem Gespräch in der Familie und anschließender Liebe im Heu führen.

So einen Film-Beginn kann man durchaus als »elegant« bezeichnen, doch, das kann man, und wenn dann noch auf einen fahrenden Eisenbahnzug geschnitten wird, aus dessen Fenster sich ein Gentleman mit Zylinder ins satte Grün vorbeiziehender Landschaft lehnt, bevor man zu beschwingter Musik in einen Bahnhof fährt, komplett mit Pferdewagen und langberockten Damen, dann weiß man: Wir sind in einem ziemlich englischen Film über eine sehr französische Autorin, und wir werden es uns wohl mit einer freundlich-dramatischen, prächtig verzierten Version von der Passion der starken Frau in einer patriarchalen Welt des sehr vergangenen Jahrhunderts gemütlich machen können.
Walsh Westmoreland erzählt von der ersten Ehe der Schriftstellerin, der inneren Lüge à la »Männer sind eben so!«, die dem Mann erlaubt, was der Frau untersagt ist, von der schrittweisen Befreiung, nicht zuletzt durch die erotischen Beziehungen zu anderen starken Frauen, von den Rissen und den Revolten, der ausbeuterischen Vermischung von Leben und Werk, der Saga von »Claudine« als autobiographisches Vexierspiel, von den Büchern, die zugleich zum modischen Markenzeichen und zu einem Signal der erotischen Modernisierung in der Bürgergesellschaft des Jahrhundertbeginns werden. Es sind ihre Bücher, die sich Ehemann Willy dreist als sein Werk aneignet, obwohl sie in der harten Arbeit am eigenen Leben der Autorin, stets gegen den drohenden Bankrott durch Willys ausschweifenden Lebensstil entstanden sind. Manchmal ist Sidonie Gabrielle, später nur noch Colette, zum Schreiben buchstäblich von ihrem Mann eingekerkert, manchmal schließt sie selbst Leben und Werk kurz und kann die Wahrheit über sich und ihre Beziehung zu Willy nur in Form von Literatur kleiden. Am Ende des Films wird sie sich von ihrem Ehemann und Ausbeuter trennen, als er den finalen Verrat begeht und die Rechte an »Claudine«, am »Kind«, das die beiden einzig noch zusammen gehalten hat, an einen anderen Verleger verkauft.
Schön, dass Westmoreland dabei nicht ganz und gar auf Rollen-Klischees setzt, dass, wie man so sagt, die »Chemie« zwischen Keira Knightley und Dominic West in dieser Ehe- und Literaturgeschichte stimmt und dass die Inszenierung immer wieder diese Momente der erwähnten Eleganz aufweist. In »Colette« zeigen Regie, Ausstattung, Schauspiel und Kamera wieder einmal, was das gehobene britische Unterhaltungskino so kann. Beleuchtungskunststücke, Kreisfahrten der Kamera im Salon-Geplänkel, erlesene Objekte wie eine diamantbesetzte Schildkröte, die die spätere Autorin natürlich symbolhaft rührt, immer wieder Spiegelungen und kunstvoll verzerrte Glas-Effekte, komplizierte Steadicam-Bewegungen, die wiederkehrende Einstellung auf eine Wendeltreppe, die hinaufzusteigen von Mal zu Mal mehr Schwierigkeiten bereitet, die Eisenbahnfahrt als roter Faden und beiläufig, aber unübersehbar die Spuren der Modernisierung: das elektrische Licht, das auf die Kerzenleuchter folgt, die Fahrrad-Mode im Park, die ersten Automobile treten an die Stelle der Pferdekutschen, die Schreibmaschine ersetzt den Federkiel, und »Claudine« wird zum Zauberwort in Reklame und Vermarktung.
Ansonsten freilich bleibt die Geschichte, von der Produktion von »Skandalen« abgesehen, auf der Ebene des Privaten. Nichts erfahren wir in diesem Film von Colettes anderer Passion, dem Journalismus, bei dem sie zum Beispiel Augenzeuge eines Polizeieinsatzes gegen eine Gruppe von Anarchisten wurde, nichts von ihren Reisen, nichts davon, dass sie sich auch für etwas anderes interessierte als den eigenen Status. Auch nichts von weniger anheimelnden Dingen, von ihrer Leidenschaft für Boxkämpfe, von Drogen, von den Bosheiten, zu denen sie durchaus in der Lage war. Es ist eine vielleicht allzu brave und korrekte Colette, die uns da in einem Film vorgeführt wird, der mehr nach einer Tasse Tee als nach einem Glas Absinth schmeckt.
Man kann das freilich alles durchaus genießen; es ist ein ›unguilty pleasure‹, Bildkompositionen nach impressionistischer Malerei, Ameisen auf Tomatenpflanzen in der Provinz, die Reaktion der Männerwelt auf einen lesbischen Theater-Kuss und die Verästelungen eines Beziehungsdramas zu verfolgen, das dann eben doch nicht nur auf Unterdrückung/Ausbeutung auf der einen, Revolte/Kunst auf der anderen Seite allein zu reduzieren ist. Es ist ein in jeder Hinsicht schmutzloser Film, nicht einmal das damalige Pariser Hurenviertel (dargestellt vom heutigen Budapest) zeigt mehr als ein paar bauliche Gebrauchsspuren. Eine sehr unkonventionelle Person hat einen doch recht konventionellen Film als Biopic bekommen, der aber handwerklich und schauspielerisch so gediegen ist, dass man es als längere Nachmittags-Phantasie genießt. Vielleicht bevor man sich entschließt, »La Vagabonde« nochmal zu lesen, den man sich derzeit auf deutsch nur aus dem Antiquariat fischen kann.

Georg Seeßlen (© DCM)
COLETTE
von Wash Westmoreland, GB/USA 2018, 111 Min., mit Keira Knightley, Dominic West, Denise Gough, Fiona Shaw,
Eleanor Tomlinson, Robert Pugh
Biopic
Start: 03.01.2019

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