Straßenjungs
»Prince Avalanche« von David Gordon Green
Doch, das geht. Einen sehr schönen Film machen mit ganz wenig Aufwand. Was man dazu braucht, ist eine gute Idee und gute Leute. Und etwas, das ich, in Ermangelung anderer Begriffe, eine cineastische Entschlossenheit nenne. Die Kraft, sich die gute Idee von nichts korrumpieren zu lassen.
Dabei ist diese gute Idee gar nicht so neu. Die Geschichte von zwei Männern auf einsamer Baustelle gibt es schon bei Lars Gustafson, und die von den beiden, die auf einer endlosen Landstraße die Mittellinien ziehen müssen, und dabei so ihre Kabbeleien und verqueren Familien- und Liebesdramen aushandeln, stammt ursprünglich aus dem isländischen Film »Á annan veg« von Hafsteinn Gunnar Sigurdson; ein Remake ist »Prince Avalanche« von David Gordon Green trotzdem nicht. Die Story nimmt bei ihm eine ganz andere, eine amerikanische Richtung.
Die Story? Ein Waldbrand in Texas hat großes Unheil gebracht. Durch das verbrannte Gebiet führt eine Landstraße. Alvin und Lance haben die Aufgabe, sie mit neuen Pfosten und neuen gelben Streifen zu versehen. Natürlich sind die beiden sehr unterschiedlich. Der ältere, Alvin, bedächtig und seiner Arbeit hingegeben, schreibt lange poetische Liebesbriefe an seine Geliebte Madison, und versucht, ausgerechnet, während der Arbeit mit Hilfe eines Kassettenrekorders Deutsch zu lernen; man plant offenbar die Auswanderung. Der Junge, Lance, ist ziemlich genervt von dem Job und hat eigentlich nur Comics, Rockmusik und die Aussicht auf ein wildes Wochenende in der Stadt im Kopf. Den Job hat er, weil er Madisons Bruder ist. Und das gibt natürlich jede Menge Reibereien, einige Begegnungen auf der Straße, die meisten von ihnen sehr komisch. Einige melancholisch, wie die mit der alten Dame, die in der Asche ihres verbrannten Hauses nach Erinnerungen sucht, andere seltsam. Und vielleicht kann der eine gar nicht so gut mit der Einsamkeit umgehen wie er meint, und der andere nicht so gut tanzen, wie er glaubt. Am Ende jedenfalls können die Striche auf der Straße nicht gerade bleiben.
Ganz nebenbei ist »Prince Avalanche« auch vieles anderes. Eine post-apokalyptische Fabel vielleicht, ein Essay über die Natur und ihre Zerstörung, über Einsamkeit, Liebe und Freundschaft, über das verlorene »Walden« im Herzen Amerikas, ein Märchen um Lancelot, Tristan und das verwunschene Schloss, eine Geistergeschichte, eine Frage nach Erziehung und Respekt und vielleicht geht es ja sogar um den Sinn des Lebens, wer weiß. Ein Musikfilm ist es nebenbei auch, mit Explosions in the Sky und David Wingo, der schon den großartigen Soundtrack für »Take Shelter« geschrieben hat.
In seinem Brief an Madison schreibt Alvin in einem P.S. auf deutsch: »Mit der wahren Liebe ist’s wie mit den Geistererscheinungen, alle Welt spricht darüber, aber wenige haben etwas davon gesehen.« So wird es wohl sein, und dass das ein Spruch nicht eines deutschen Dichters, sondern des Franzosen de la Rochefoucauld ist, macht den großen Weg, der noch vor ihm liegt, nur umso deutlicher. Die Geistererscheinung verschwindet. Das Leben geht weiter.
Paul Rudd und Emile Hirsch sind mit ihren Rollen förmlich verschmolzen. So ist es in doppeltem Sinn schön, ihnen bei der Arbeit zuzusehen. Und wer’s vorher noch nicht gewusst hat: Verbrannte Wälder können verdammt schön sein. Wenn man sie mit cineastischer Entschlossenheit ansieht, jedenfalls.
Georg Seeßlen