Süß, flirrend, licht, lieblich, privat, intim, zärtlich – es gibt so Einiges, was sich im zuckrigen Vokabular für die künstlerischen Zuschreibungen Pierre-Auguste Renoirs findet, und man denkt allgemein hin, das Thema sei nun ausbuchstabiert. Dem tritt die neue Sonderausstellung im Städel jetzt entgegen: Das nur Halberforschte in dem so scheinbar blendend Bekannten des Impressionismus aufzuspüren, hat sie sich vorgenommen, die da heißt: Renoir. Rococo Revival. Wobei letzterer Begriff dem englischen Kunstgeschichtsvokabular entstammt und nicht als Tribut an reißerische Werbeparolen zu verstehen ist.
Sie will also die Bezüge herstellen zwischen der begehrten Kunst des Ancien Regime, die der formalistischen Prachtentfaltung des Barock die verspieltere Privatheit entgegensetzt, und dem Impressionismus, dem 1869 die Geburtsstunde schlug. Dazwischen liegt: die Französische Revolution. Und das ist nicht wenig. Vollkommen klar, dass Sujets und Malduktus des Rokoko in einer Kunst, die auf 1789 folgte, nichts zu suchen hatten. Keine Kaiserinnen hoch zu Ross, keine traumverlorenen mythischen Landschaftsbilder mit irgendwelchen Götterstatuen im Hintergrund oder parfümierte Gartenpartys in adligen Gärten.
Doch wie genau wurde es dann gesponnen, dieses offenbar ganz offensichtliche Band zwischen dem Rokoko und Renoir – nach einem solchen Bruch? Die Schau will dies auf vier Ebenen klären: Die gesellschaftspolitische, die biografische, die motivische und die mal- und zeichentechnische.
Im zweiten Kaiserreich – ab etwa 1852 – erscheint das verfemte Rokoko plötzlich erneut als genuin französische Kunstform aufzuflammen, seine Eleganz, die subtile Leichtigkeit und Schönheit wurden als nationale Symbole interpretiert. In Museen und Galerien nahm man sich dieser Wiederbelebung an, druckgrafische Reproduktionen der Kunstwerke des 18. Jahrhunderts trugen zu seiner Bekanntheit bei.
Pierre-Auguste Renoir (1841–1919) wird in dieser Sonderschau als Watteau des 19. Jahrhunderts präsentiert, und zwar ganz nach seiner Selbstbeschreibung: »Ich komme aus dem 18. Jahrhundert. Ich bin der bescheidenen Meinung, dass meine Kunst von Watteau abstammt …« Es gibt, das macht Kurator Alexander Elling unmissverständlich deutlich, noch ganz andere Verbindungen kunsthistorischer Strömungen in den Impressionismus hinein, wie bei Degas, Manet, Monet, aber bei Renoir hieß dieser Bezug eben: Rokoko.
Geboren 1841 in Limoges als Sohn nicht sonderlich wohlhabender Eltern, erhält er zunächst eine Ausbildung als Porzellanmaler. Auf die besondere Nähe des Kunsthandwerks zur Kunst wird er sich in seinen Arbeiten immer wieder beziehen. Auch hier entsteht die Nähe zum Rokoko: Für einen Porzellanmaler ist die Formensprache und sind die Sujets des Rokoko sozusagen verbindlich, sind der obligatorische stilbildende Kunstkanon, da er genau dort immer wieder zitiert und auch gefordert wird. Für Renoir ist die finanzielle Abhängigkeit von seinen Auftraggebern Standard. Er malt selbstverständlich auch, was gewünscht wird. »Der Zweck der Malerei ist es doch, Wände zu schmücken« hat der Maler einmal kundgetan, und eben auch Zimmerdecken und Türen bemalt – eine ist in der Ausstellung zu sehen.
Die Ausstellung vertieft sich zunächst in eine Begriffsdefinition des Rokoko, um anschließend die Fêtes galantes zu präsentieren, ausgehend von Watteaus »Einschiffung nach Kythera«, vervollständigt durch Gemälde von Jean Baptiste Pater, Narcisse Virgile Diaz de la Pena, Henri Baron und Adolphe Monticelli, die in eine verspielte Ferne entrücken, in eine prächtig idealisierte, mythische Naturkulisse, bevölkert von Paaren, Putten, Musikern, Tänzern. Renoir überführt diesen Themenkanon in seine Perspektive, in sein Jahrhundert. Und wählt trotz aller Nähe zu dem Sujet klar definierte Landschaften wie den Froschteich bei Bougival oder die Ruderinsel in Chatou und zeigt »Die Schaukel« in einem strahlenden schillernden Blau. Die Formen sind in Auflösung begriffen, nicht mehr ganz fassbar, was die Szene nur noch lebendiger macht. Die Skizzenhaftigkeit der Darstellung verdeutlicht die Flüchtigkeit des Augenblicks. Es sind Gemälde wie diese, die ihm den Titel »Maler des Glücks« eingebracht haben.
Das Personal lässt sich im Gegensatz zu den Rokoko-Gemälden meist klar identifizieren, es zählte häufig zu Renoirs Bekanntenkreis. Sehr schön zu sehen an den Porträts der Familie Monet, die das auflösend-Flirrende seiner Bildsprache für einen Moment verlassen. Denn wenn man ihn nur auf eine Malweise festlegen würde, läge man falsch. Er malte mit Öl, mit Pastellkreide, es gibt Federzeichnungen von ihm und beispielsweise das Gemälde »Die Welle«, die völlig in pastös aufgetragener Farbe aufgelöst ist.
Die thematischen Verflechtungen sind immer wieder Gegenstand überraschender Begegnungen. Am sinnfälligsten vielleicht bei der »Amazone«. Es stellt ein Porträt von Marie Antoinette hoch zu Pferd von Louis-Auguste Brun aus dem Jahr 1783 einer modernen Reiterin gegenüber, die im Bois de Boulogne ihrem Sport nachgeht. Eine Boudoir-Szene von Francois Boucher wird kontrastiert mit »Psyche – der Spiegel« von Berthe Morisot, das 1876 entstanden ist.
Eine beindruckende Schau, für die 132 Exponate von 24 Künstler*innen versammelt worden sind, darunter 71 Werke von Renoir.
Susanne Asal
(Bild: Pierre-Auguste Renoir. Ruderer bei Chatou, 1879
Foto: Courtesy National Gallery of Art, Washington)
Bis zum 19. Juni: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–18 Uhr; Do., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de