Rettet sie! Bertha Pappenheim auf der Spur

Vielbeschworen der Name, kaum bekannt, wer tatsächlich dahinter steckt: Bertha Pappenheim (1859–1936), die große jüdische Sozialrevolutionärin und Feministin, hat das gesellschaftliche und politische Leben in Frankfurt mehr geprägt als man sich das gemeinhin heute so vorstellt, wie man sich vermutlich sowieso gemeinhin nicht so richtig vorstellen kann, wie stark dieses städtische Leben von jüdischen Impulsen, von jüdischem Intellekt geprägt worden war. Und deswegen ist es umso dringender, diese Spuren zu bergen aus dem ungeheuerlichen Schutthaufen, den der Nationalsozialismus und seine Institutionen und später auch das Nachkriegsdeutschland auf sie gehäuft hatten.
Gleichzeitig mit der Eröffnung des Jüdischen Museums im vergangenen September wurde auch der neu geschaffene Platz davor eingeweiht und auf ihren Namen getauft, Bertha-Pappenheim-Platz 1. Damit war der erste programmatische Schritt getan, jetzt folgt der zweite.
Mithilfe einer vielfältigen Kooperation unter der Leitung von Elianna Renner und Rebekka Voß, an der unter anderem die Goethe-Uni, das Jüdische und das Historische Museum, das Frauenreferat Frankfurt und das Kulturamt beteiligt waren, ist jetzt eine App entwickelt worden, die nicht nur über die voltenreiche Biografie der Bertha Pappenheim informiert, die sich unermüdlich für die sozialen und gesellschaftspolitischen Rechte von Frauen und Prostituierten einsetzte und ein umfangreiches Sozialwerk leitete, sondern diese Biografie in drei historische Stadtspaziergänge überführt. Wer sich die App lädt, wird durch das Westend, das Bahnhofsviertel und das Ostend geleitet, welche die drei Schwerpunkte jüdischen Lebens und ihrer Arbeit waren. Im Westend hatten sich die wohlhabenden Juden niedergelassen, im Ostend traf die ärmere und von Pogromen bedrohte und verfolgte jüdische Bevölkerung aus dem Osten und Russland ein.
Dort half Bertha Pappenheim ein umfangreiches Sozialwerk aufzubauen, auch für jüdische schwangere mittellose Mädchen, die oft in die Prostitution getrieben wurden. Auch durch reiche jüdische Bordellbesitzer, wie sie nicht aufhörte anzuprangern und sich damit nicht nur Freunde in der Gemeinde machte. Sie schrieb Geschichten für Kinder, übersetzte aus dem Jiddischen und gründete den Jüdischen Frauenbund. Und schließlich: sie war die »Anna O.« in den Studien zur Hysterie von Sigmund Freud, eine seiner ersten Patientinnen.
Aber Letzteres steht hier nicht zur Debatte. Vielmehr präsentiert sich Bertha Pappenheim in dieser App eingebettet in seinen vielschichtigen städtischen Bezugsrahmen. Wer den ausgetüftelten und faktenreichen Spaziergängen (mit jeweils eigener kleiner Straßenkarte und vielen weiterführenden Bezügen und inhaltlichen Vertiefungen) folgt, kann nicht anders, als ein städtisches Leben aufblühen zu sehen, das in seiner Üppigkeit, in seinen Netzwerken, in seinem sozialen und politischen Engagement für Benachteiligte und seiner intellektuellen Brillanz einfach beeindruckend war. Durch Fotografien angereichert, entstehen die niedergebrannten, zerstörten Synagogen wieder vor dem geistigen Auge, verortet man, was die Stadt Frankfurt seiner jüdischen Bevölkerung alles verdankte. Und was in Grund und Boden gebrannt wurde.
Es ist gut, das nicht einfach nur zu lesen, sondern es abzulaufen, es damit sinnlich erfahrbar zu machen. Weitere Rettungsaktionen bitte.

Susanne Asal

Informationen: www.berthapappenheim.com

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