Schauspiel Frankfurt beeindruckt mit Thomas Bernhards »Der Theatermacher«

Was für ein Jammer! Die ungefähr 100 abständig platzierten Besucherinnen und Besucher der Premiere von Thomas Bernhards »Der Theatermacher« schafften es einfach nicht, das 680 Sitze fassende Große Haus des Schauspiel Frankfurt erbeben zu lassen. Wie sich das allemal gehört hätte nach so einem Abend. Da boten am Ende Spuren von Tränen der Freude, des Lachens auf manchem Gesicht den weit markanteren Widerhall des Glücks, etwas Besonderes erlebt zu haben. Etwas, das kein Video-Live-Cam-Team der Welt für den Mega-Homescreen einzufangen vermocht hätte. Und schon gar kein Film auf Netflix.
Gut, dass Herbert Fritschs mehrfach verschobene Inszenierung des Neo-Klassikers nicht auf Halde übersommern musste. Jetzt können wir unser Heft mit der dicken Empfehlung für dieses Theatertheater schmücken, das mit der Inspektion eines Spielsaales für die abendliche Aufführung beginnt und – wie anders? – in einer Katastrophe mündet.
Die Bühne ist ein von expressionistischen Schrägen begrenzter dunkler Raum mit seitlichem Ausblick auf ein leuchtendes Alpenpanorama. Wir sind in Österreich, im imaginären Utzbach und werden gleich erfahren, dass das wie (das hessische) Butzbach klingt – in den bewegten 70ern in der dem Autor vertrauten Suhrkamp-Stadt durchaus ein klangvoller Name, nicht nur weil Daniel Cohn-Bendit dort mal in der JVA eingesessen haben soll, sondern vor allem, weil entlaufene Jugendknastler aus dem butzbachnahen Rockenberg für proletarischen Gout in den besetzten Häusern sorgten. Das aber am Rande. Denn es hat ganz andere Gründe, dass der mit Dutzenden von Geweihen behängte Saal des Utzbacher Gasthauses »Schwarzer Hirsch« – lichttechnisch stark gemacht – gruselig duster und unheimlich wird.
Mit Stock, Hut, Fliege und in grauem Anzug inspiziert der große Theatermacher Bruscon den Raum, um sich nach einem Verbeugungsduell mit dem Wirt ein erstes Mal über dieses Utzbach wie Butzbach zu ergehen – und dann über das ganze Land und die ganze Welt der Kunst. Sein Urteil fällt vernichtend aus und lässt im Fortlauf der bald folgenden Proben mit seiner in ultimatives Blass gekleideten Familie nichts aus. Auch uns im Saal, das Publikum, nicht. Bernhards »Theatermacher« ist ein zweieinhalbstündiger Monolog voller Sarkasmen und beißender Polemik über das Theater, die Provinz und die Nazi-Tradition der öffentlichen Ordnung. Gespickt mit Ergüssen über die Frittatensuppe, den Blutwursttag, die in Ehren gehaltenen Hitlerbilder der Dorfkaschemmen und auch über den Utzbacher Feuerwehrmann, den es zu finden gilt, um in dem »Die Finsternis« betitelten Schlussteil seines großen Werkes das Notlicht zu löschen. Dass »Das Rad der Geschichte«, so sein Titel, mit Protagonisten wie Napoleon, dem Ehepaar Churchill, Stalin und Hitler besetzt ist, versteht sich fast schon von selbst.
Wolfram Koch ist dieser Bruscon und brilliert nicht nur sprachlich und spielerisch, sondern auch athletisch in diesem Hochleistungstheaterstück. Frisch setzt mit seinem Bühnenstar eine Maschinerie in Gang, die auf keinen noch so abwegigen Gag verzichtet. Natürlich ist das widersinnige Loch im Parkettboden des Saals, in das jeder tappt und in dem sogar Bruscons schwindsüchtige Gattin für eine Weile verschwindet, ein Zitat aus »Dinner for One«. Und selbstverständlich geht es kaum alberner, wenn Bruscon ein jedes Mal, wenn er seinen Sohn »Ferruccio« ruft, der Fuß verrutscht. Aus dem famosen Spiel eines Vollblutschauspielers und dem beißenden Spott eines Obergrantlers formt der Regisseur, der dem deutschen Theater das Lachen wieder zurückgebracht hat, eine Sternstunde von 180 Minuten.
Und zugleich ist »Der Theatermacher« in der Fritsch-Version ein wunderbares Ensemblestück, das alle glänzen lässt: den gleich zwei Mal vertretenen Wirt (Sebastian Reiß, Sebastian Kuschmann), die Wirtin (Anna Kubin), die Wirtstochter Erna (Tanja Merlin Graf) sowie Buscons Frau (Irina Wrona), seine Tochter Sarah (Mata Kizyma) und den von Fridolin Sandmeier phantastisch vertölpelten Sohn.
Ein pausenloses Vergnügen, das von einem so pausenlosen Stühle-, Stühle-, Stühle-Schleppen und -Rücken, begleitet wird. Sie werden längs, quer, im Kreis gruppiert, hin-und her- und umgestellt und gar mal gestapelt. Dass sie nicht zum Sitzen taugen, sondern aus Papier gefaltet sind, sehen wir später. Zum gespensterhaften Schluss schweben sie – wunderbar bescheuert und tiefsinnig zugleich in der ganzen Interpretationsbreite des Sitzmöbels – sogar über den Dingen.

Winnie Geipert (Foto: © Thomas Aurin)

Termine 24., 25., 27. September, jeweils 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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