Schauspiel Frankfurt bezieht mit Sasha Marianna Salzmanns »Ich, ein Anfang« Frankfurter Position

Jeder ist sich selbst ein Rätsel

Das zweijährliche Festival Frankfurter Positionen ist der künstlerischen Innovation insbesondere in der darstellenden Kunst verpflichtet und hat für seine neue Ausgabe auch Theaterautoren beauftragt, sich dem Thema der Identitätsfindung im neuen Medienzeitalter zu widmen. Die mit »Muttersprache Mameloschn« bekannt gewordene Schriftstellerin Sasha Marianna Salzmann hat daraufhin das Stück »Ich, ein Anfang« verfasst, das schon im Wortlaut eng dem Festivalslogan »Ich: Reloaded« folgt und nun am Schauspiel unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler vor der Uraufführung steht.
Das Stück, so verrät die mit ihren Eltern aus Russland ausgewanderte jüdische Autorin auf der Homepage des Schauspiels in einem Interview, basiere auf einer intensiven Beschäftigung mit dem Vorgang des Erinnerns. Tatsächlich bringt es spürbar Erkenntnisse der Psychologie respektive der Hirnforschung zum Ausdruck, nach denen sich das Gedächtnis im Prozess des Erinnerns und damit auch der Identitätsfindung jedes Mal auf das Neue um Rekonstruktion bemühen muss. Das sei kein Film, den man immer wieder abspulen könne, sondern eine permanente Überschreibung mit offenem Ausgang.
In »Ich, ein Anfang« wird die Wer-bin-ich-Frage auf verschiedensten Ebenen verhandelt. Erzählt wird darin von einer Frankfurter Dreier-WG, in der die junge Türkin Jellal dabei ist, das Zimmer und den Platz von Re einzunehmen, die vor ihr mit Nana, einer lesbischen Farbigen, und dem eher agnostischen Juden Ephraim zusammengewohnt hat. Weshalb und wie es dazu kam, das entschlüsselt sich erst nach und nach in diesem Puzzle aus vier Menschen, die selber Puzzles sind. Von sehr unterschiedlicher Herkunft und Psyche haben sie nicht viel mehr als die Unsicherheit über ihren Platz in der Welt gemeinsam. Und vielleicht die Sehnsucht, dass es anders sein könnte.
Mit gezielten Einblicken in die Biographien des WG-Trios und der absenten, über Skype aber immer präsenter werdenden Vorbewohnerin bricht sich eine Dynamik Bahn, die über einen gemeinsamen Rummelbesuch Fahrt aufnimmt. Wenn sie sich entlädt, wird Vergangenes und Verdrängtes frei- und Vorhandenes bloßgelegt. Salzmanns Arbeit sei hochkomplex und werde für den Zuschauer dennoch plastisch, verspricht Sonnenbichler einen Thriller. Eine Art Hitchcock? Eher David Lynch, so die hier erstmals inszenierende Düsseldorfer Hausregisseurin. Nicht alles sei von Beginn an klar, doch mache jedes Wort der akribischen Autorin Sinn.
Das Bühnenbild werde sich dem Zuschauer als ein »Kopfraum« darbieten, der zwar nicht die Geschichte, wohl aber ihren Ort offen lasse und durchaus auch in der Phantasie siedeln könne. meint Sonnenbichler. Die Rolle der zunächst via Screen zu sehenden Schlüsselfigur Re nimmt das neue Schauspielstudiomitglied Sina Martens ein, die in Alexander Eisenachs »Hauch des Geldes« und Ersan Mondtags »Iphigenie« schon auf sich aufmerksam gemacht hat. Mit ihr stehen Miran Joya Strübel, Yodit Riemersma und in der einzigen männlichen Rolle Lukas Rüppel auf der Bühne.

gt
Termine: 14., 15., 18., 23. September, 20 Uhr,
www.schauspielfrankfurt.de

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