Als ein Puppenspiel mit Menschen hat die Regisseurin Rieke Süßkow den skurrilen Roman »Mein Lieblingstier heißt Winter« von Ferdinand Schmalz für die Frankfurter Kammerspiele aufbereitet. Das liegt vielleicht daran, dass man sich die hochverästelte, bisweilen reißighafte Prosa des österreichischen Autors am ehesten als Comic vorstellen kann – gewiss aber nicht als Bühnendrama. Zu erleben steht stattdessen eine von Süßkow mit der Dramaturgin Katja Herlemann heruntergebrochene Skelettversion des nicht nur kunstsprachlich im österreichischen Idiom gehaltenen Krimis. In zahllosen Varianten und Schattierungen des Sterbens und Gestorben-werdens feiert der Tod sein Fest, inklusive einer Scheinbeerdigung, die man die »venezianische« nennt.
Zelebriert wird das Ganze mit viel Schmäh von Personen mit wunderbar sprechenden Namen, allen voran der Tiefkühlkostvertreter Franz Schlicht im Zentrum der Geschichte und jener lebensmüde alte Herr Schauer, der sein Dasein in einer Tiefkühltruhe beschließen und seine Leiche von Schlicht entsorgen lassen will. Dass Schlicht ganz gegen die Verabredung aber nur aufgetaute Portionen von Rehragout vorfindet, löst mit der Suche nach dem Totgeglaubten hochkomplizierte krimihafte Verwicklungen aus, für die es am Ende sogar eine Auf-Lösung gibt.
Doch wie schon die Lektüre des 250-Seiten-Werks, so lebt auch die Inszenierung weniger von Drive und Thrill einer eher nachrangigen Handlung als von den miniaturhaft präsentierten Sprachbildern und Gedanken des Autors. Umgesetzt wird dies im Frankfurter Kammerspiel auf einer von Marlene Lockemann mit einem halben Dutzend Schaukästen (Dioramen) bestückten Drehbühne und mit einer Erzählerin (Katharina Linder) in armlangen Latexhandschuhen und priesterlich weißem Umhang, die aus einer Art Dirigentenluke mit dem Rücken zum Publikum das Karussell Bild für Bild in Bewegung setzt. Dass die großartige Schauspielerin ihre Position singend mit dem »Lacrimosa« aus Mozarts Requiem einnimmt (und später verlässt) ist nicht weiter zielführend, aber eine wunderschöne Idee.
Lindners Berufskollegiat kommt hingegen nur in den Dioramen als ›tableaux vivants‹ zum Einsatz. Szene um Szene werden die im Stillstand grimassierenden und posierenden Darsteller von der Erzählerin per Handzeichen oft nur für einen Satz oder eins, zwei Bewegungen zum Leben erweckt, um schnell wieder in ihrer Ausgangsposition zu erstarren. Dass sie in ihren Halbmasken kaum zu identifizieren sind, schmälert ihre hochkonzentrierte Arbeit nicht, unterstreicht aber ihre ausschließlich der Illustrierung dienende Funktion, weshalb wir sie auch hier nicht weiter namentlich erwähnen. Der Star im Frankfurter Kammerspiel ist allein die Inszenierung.
Wie zum Beweis bricht die Regie am Ende alle Kulissen dieser bis ins kleinste Detail von Licht, Sound und permanentem Umbau durchgeplanten Maschinerie auf und legt den fast einhundertminütigen Budenzauber, den sie veranstaltet hat, als technisches Meisterwerk offen. Wer will, kann den sich im Schluss-applaus offenbarenden dreifachen Schlicht eine existenzphilosophische Note im precht’schen Sinne zudeuten. Ein sehr ungewöhnlicher, spektakulärer, außerordentlicher Abend, coole Konzeptkunst, wenn man so will, auch ein Schauspiel, das den neuen Medien zu trotzen sucht. Aber kein Schauspielerfest.