Schauspiel Frankfurt: Pinter-Doppel »Der stumme Diener« / »One for the Road«

Lose Zungen im Gitterkäfig

Die Welt, ein Käfig? Die Bühne deutet es an. Ein Käfig, ein Gefängnis, in dem sich eine bei aller Widerwärtigkeit wohl realistische Verhör- und Folterszene abspielt. Globen leuchten ab und an in der Dunkelheit auf und verstärken dieses Bild für »One for the Road«, das erste Stück im Doppelpack des Harold-Pinter-Abends unter der Regie von Jürgen Kruse im Kammerspiel-Untergrund des Frankfurter Schauspielhauses.
Im ersten Dunkel, vom aufwühlenden Pianogehämmer des Stones-Songs »We Love You« umsounded, glänzt der  fast nackte Körper Victors (Isaac Dentler) geradezu wie eine antike Statue. Doch es sind Spuren von Misshandlungen und Blut, die man sieht, wenn sich der wohnzimmermäßig vollgestellte Raum etwas zu erhellen beginnt (Bühne: Volker Hintermeier). Überkorrekt gekleidet, weißes Hemd, Weste, Krawatte und Brille, der Verhörer- und Folterer Nicolas, bequem auf einem Bürostuhl hin und her rollend (Oliver Kraushaar, unglaublich und unheimlich überzeugend böse!). Er nimmt sich sein blutspuckendes Opfer, dem augenscheinlich die Zunge ausgerissen wurde,  in sarkastischer Weise vor (»Was meinen Sie? Sind wir Freunde?«). Was genau er wissen will, bleibt unbestimmt, zeitlos.
Victor, das Opfer, kann wenig sagen, selbst als seine Frau  und sein Kind vorgeführt werden – missbraucht und vielleicht auch umgebracht zum Schluss (»Er war ein kleines Arschloch«) –, ist nur ein schwer verständliches »Töten Sie mich!« von ihm zu hören. Dentler beeindruckt mit ramponierter Stimme. Wie bei Kruse üblich, zerschneiden weitere laut dröhnende Popsongs die Inszenierung: Wo in aller Welt sind wir? In Argentinien? In der Türkei im Jahr 1984, als dieses Stück uraufgeführt wurde? Oder dort auf der Welt, wo sich Szenen dieser Art immer noch abspielen?
Es kann kein jubelnder Applaus aufkommen nach diesen klugerweise an den Anfang gestellten niederschmetternden 45 Minuten, doch schmälert das die großartige Inszenierung und die Leistung der Schauspieler nicht. Dagegen sorgt nach der Pause »Der stumme Diener« (so heißen Küchenaufzüge in Restaurants) aus dem Jahre 1959 – satirisch angelegt  für befreite Heiterkeit. Anders als im etwa gleichzeitig entstehenden absurden Theater Samuel Becketts wird hier nicht auf Godot gewartet, sondern die Berufskiller Ben und Gus (wieder Kraushaar/Dentler) warten auf einen Auftrag. Unbekümmert lungern sie auf den verlotterten Betten im Keller eines lumpigen Hotels, sprechen über Belangloses oder manchmal auch – ungerührt – über ihre potentiellen Opfer. Kleine Kabbeleien und erotische Träume  (»Una festa sui prati«) unterhalten die Mörder und das Publikum, während vom »Stummen Diener« nur seltsame Bestellungen kommen.  
Erst als einer der beiden den Raum verlässt, gibt es telefonisch wohl genauere Anweisungen. Doch anders als in der Vorlage trifft es nicht den zurückkehrenden Kumpanen, sondern alles endet in einer Tanzüberwältigung von Musik, Engel und Himmel, wer auch immer da jetzt gelandet sein mag.
Trotz des leichten Gähnens, das die banale Unterhaltung der beiden hervorrufen kann, ist „Der stumme Diener“ kein beschauliches Stück. Der globale Käfig ist nach wie vor da, nur verschoben, auch die im Traum erscheinende Frau gleicht der gefolterten aus dem ersten Stück und zeigt, selbst als Engel in der Schlussapotheose noch die blutigen Spuren der Misshandlungen. Und befinden wir uns nicht auch im selben Haus wie zuvor? Großer Beifall ist jetzt aber möglich.

Katrin Swoboda (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termine 5., 6. Januar, jeweils 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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