Staatstheater Darmstadt: Christoph Mehler eröffnet die Spielzeit mit »Caligula«

Oratorium für einen Despoten

Wer sich so eben mal beim wichtigsten Treffen der Staatsoberhäupter dieser Welt von seinem Töchterchen vertreten lässt und so seinen Amtskollegen zeigt, was er von ihnen und ihren Mühen um Konsens hält, der könnte auch bald auf die Idee kommen, ein Pferd auf eine politische Position zu hieven. So, wie der römische Kaiser Caligula, der im Jahr 42 vorgehabt haben soll, sein Lieblingsrennpferd Incitatus zum Konsul zu ernennen.
Kein Wunder, ob solcher Parallelen, dass Albert Camus‘ Drama »Caligula« mit gleich fünf Neuinszenierungen in der Spielzeit 2017/18 zum Stück der Stunde der deutschen Bühnen avanciert, beginnend mit dem Staatstheater Darmstadt. Inszeniert wird der bereits 1938 entstandene, später mehrfach überarbeitete Theater-Erstling des damals 25 Jahre alten französischen Schriftstellers von Christoph Mehler im Kammerspiel. Der zählt noch immer zu den Jungen und durchaus Wilden seines Genres, war mal Hausregisseur am Frankfurter Schauspiel, u. a. mit »Hautnah«, »Des Teufels General«, und hat sich mit radikalen Zugriffen vor allem auf Bühnenklassiker längst bundesweit einen Namen gemacht. Während Mainz sich noch an seine »Endstation Sehnsucht« erinnern dürfte, hat Mehler in Darmstadt Henrik Ibsens »Wildente« (Strandgut 12/2016) so spektakulär entbeint, dass ihm neben der Saisonouvertüre gleich noch die Regie für Horvaths »Glaube Liebe Hoffnung« (Mai 2018) anvertraut wurde.
Zurück zum Stück, in dem der Nietzsche-Rezipient Camus dem populären Geschichtsbild vom größenwahnsinnigen Despoten seinen Blick auf einen sensiblen Denker entgegenstellt, der aus der Erkenntnis der Nichtigkeit des Lebens radikalste Schlüsse zieht. Im Drama ist es der Tod seiner inzestuös geliebten Schwester, der Caligula verleitet, fortan »das Unmögliche zu wollen« und mit exzessiver Willkür die Sinnlosigkeit allen Seins zu beweisen und damit im Widerstreit mit seinem intellektuellen Gegenspieler Cherea seinen Untergang provoziert.
Auf der Homepage des Staatstheaters werden die Taten dieser »Denkmaschine auf Abwegen« direkt ins Aktuelle transferiert: »Amerika First@realDonaldTrump« heißt es dort – vielleicht etwas vorlaut. »Wir brauchen weder Trump-Perücken, noch abgeschlagene Köpfe«, kündigt Christoph Mehler an, jegliche lehrhaften Fingerzeige zu vermeiden. Die aktuellen Bezüge ergäben sich über den eindringlichen Text ganz von selbst, und das gewiss nicht nur zur Person des amerikanischen Präsidenten. Das in der Auseinandersetzung mit dem Nihilismus Nietzsches und der Erfahrung des Nazi-Terrors in Europa entstandene Werk rühre in der Hinterfragung christlicher Werte an den Grundfesten unseres Gesellschaftsverständnisses.
Mehler begreift das handlungsarme Drama denn auch eher als ein vielstimmiges Oratorium, in dem widerstreitende Stimmen ihre Haltung zu einer gottlos gewordenen Welt artikulieren, ohne aufeinander einzugehen oder sich zu beeinflussen. »Caligula« sei ein philosophischer Komplex, dem er auf der Bühne ganz über die Macht der Sprache und mit dem Mittel des Chores näherkommen wolle. Indem Camus den Weg Caligulas in biblische Dimensionen münden lasse, werde sein Text zu einem Appell an die Menschlichkeit und Liebe. Mehler: »Sein Tod ist der Weltenbrand, weiter geht es nicht.«
Mit Christoph Bornmüller als Caligula, Stefan Schuster als Cherea, Gabriele Drechsel als Caesarea und Katharina Hintzen als Scipio hat Mehler die Schlüsselrollen aus dem Wildente-Ensemble besetzt. Gespannt darf man auch darauf sein, was sich die Bühnenbildnerin Jessica Hörl einfallen lässt. Die bis in den Schnürboden steigende Karrieretreppe im Ibsen-Klassiker war spektakulär.

Winnie Geipert (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termin: Premiere 25. August, 19.30 Uhr
www.staatstheater-darmstadt.de

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