Mit Judo aufs Kreuz gelegt
Viel, viel Grün beherrscht die Bühne im Großen Haus des Staatstheaters Mainz. Die Figuren des neuen Weihnachtsmärchens »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« und das Interieur ihrer Welten reflektieren in vielen Schattierungen und Tönen die Farben des Waldes und der Natur. Dazu passt schon nach der Farbenlehre, dass die Titelheldin knallrote Haare hat. Ein Aschenbrödel mit solch einem feurigen Schopf kann kein Mauerblümchen sein.
Die Mainzer Aufführung folgt der (ost)deutsch-tschechoslowakischen Koproduktion von 1973 von Vaclav Vorlicek und Frantisek Pavlicek, die seither ein Evergreen im Fernsehen ist. Im Unterschied zu dem bemitleidenswerten Aschenputtel der Grimms ist die Protagonistin hier ein Energiebündel und voller Leben. Sie kann reiten, schießen, weiß, sich zu wehren, und fügt sich nur, wenn sie nicht anders kann.
Die Inszenierung von Nora Bussenius hält sich aber nicht an die bekannte Bühnenadaption der »Haselnüsse«, die am 3. Dezember (19 Uhr) in der Jahrhunderthalle zu sehen sein wird, . Stattdessen reichert die Regisseurin die Filmvorlage mit Szenen des Grimm-Märchens, mit moderner Musik und Songs (Henning Brand/Andrea Heuser) sowie einigen schönen Ideen an, die sie näher an unsere Zeit heranrücken. Statt des Schimmels Nikolaus ist es ein schickes weißes Bike, auf dem Gesa Geues frech-fröhliches Gör ihre Touren dreht und dem Prinzen begegnet, den sie dann auch noch im Bogenschießen besiegt oder mit einem Griff aus der Judo-Trickkiste auf den Boden knallt. Nikolas Fethi Türksever gibt in der Rolle des leicht gelangweilten Königsohns im obercoolen grünen Lederjäckchen, den sein Vater auch noch verheiraten will, nicht nur beim Fallen Kostproben seines akrobatischen Talents, das von den rund 900 Kindern im Saal immer wieder frenetisch gefeiert wird.
Gelegenheiten zu waghalsigen Kletterpartien hat Türkserver freilich reichlich auf der von einer Art Großbaukasten dominierten Bühne. Der Bau mit Reling ist aus leicht verschieb- und verwandelbaren Zimmermodulen zusammengesetzt, die im Parterre Aschenbrödels armselige Küche und das Wohnzimmer der Stiefmutter beherbergen, und obendrüber die Räume des prunkvollen Schlosses und das Prinzenzimmer. Im Nu fährt aus seiner Mitte eine erleuchtete Fernsehgala-Treppe aus, die den ganzen Raum in jenen zauberhaften Ballsaal verwandelt, in dem Aschenbrödel nach dem Tanz mit dem Prinzen ihren silbernen Schuh verliert …
Wem der edle Schuh gehört, will der Prinz wissen, und findet ein hundertfaches »Mir« als Echo. In 70 Minuten rauscht ein beherzt gespieltes Märchen ohne Längen und mit feiner Besetzung vorüber, das außer der Stiefmutter (Susanne Buchenberger) keine wirklich bösen Menschen kennt. Selbst die Stieftochter Dorchen, Katharina Alf, meint es gut mit ihrer Schwester, ist halt nur zu vernascht und feige, es zu zeigen. Antonia Labs gelingt an der Seite von Klaus Köhler eine hochcharmante royale Mutter. Die stärksten Prisen notwendigen Ulks steuert Armin Dillenberger als Präzeptor bei. Ganz großer Spaß mit Herz.