Wird ganz böse enden
Mehr von Houellebecq an einem Ort als zur Buchmesse in Frankfurt wird man wohl erst erleben, wenn es ihm zu posthumen Ehren einmal ein Festival geben sollte. Ein Höhepunkt war fraglos das Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses Hamburg mit Edgar Selge. Der Bühnenstar spielte in dem von Karin Beier zum Monolog dramatisierten und inszenierten Roman »Unterwerfung« (Soumission) als Solist zweimal im ausverkauften Großen Haus der Städtischen Bühnen. Ein dreistündiger Marathon vor einem kreisenden christlichen Superhohlkreuz, der begeisterte.
Da ging fast unter, dass »Unterwerfung« auch am Hessischen Staatstheater Wiesbaden wohlterminiert auf den Spielplan kam. Unter der Regie von Uwe Eric Laufenberg kommt die Aufführung aber mit der Hälfte der Zeit, ohne Pause und einem Bühnenbild der Affichisten-Ausstellung (Schirn) zu stammen scheint: eine mit abgerissenen Plakaten, Zeitungen, Fotos und Graffiti verkleidete Wand, unter einer gemalten riesigen Gott-sieht-alles Augenpartie. Die hausgemachte Fassung der Dramaturginnen Anna-Sophia Güther und Laura Weber sowie des Ensemblemitglieds Tom Gerber ist gleichfalls als Monolog für Letzteren konzipiert, und spart, ohne dass man viel vermissen müsste, wesentlich in der erotomanischen und literaturexegetischen Fläche.
Houellebecqs Protagonist François schildert in seiner im Jahr 2022 spielenden Dystopie, wie das säkulare Frankreich mehr oder minder widerstandslos zu einem islamisch fundierten Staatswesen mutiert. Der Ausgangspunkt ist gar nicht mal so verschieden von dem am 7. Mai dieses Jahres, als sich »toute la France« in der Stichwahl für Emmanuel Macron entschied, um den Front Nationale zu verhindern. Nur dass hier der sich seriös gebende Kandidat der Muslimbrüder ist, dem sich ein kraftlos gewordnes französische Bürgertum ergibt. Vor allem der korrumpierten geistigen Elite des Landes gilt beißende Spott des Literaturprofessors, der freilich selbst dazu gehört: ein vom Leben angeödeter dekadenter Intellektueller, der nur noch gelegentlichem Sex mit seinen Studentinnen und einer Freundin etwas abgewinnt und sich am Ende ein paar aufregender Tage, nicht ohne vorher mit dem Suizid kokettiert zu haben, der neuen Macht andient und konvertiert. Die Aussicht auf viel Geld und eine Ehe mit willigen Frauen macht‘s möglich.
Tom Gerber, der zu einem prägenden Gesicht der Laufenberg-Intendanz geworden ist, spielt den als abgewichstes Houellebecq-Double profilierten Frannçois grandios und profitiert dabei vom starken Strich der Wiesbadener Fassung: als Florettfechter im Dialog, als schamloser Erotomane, vor allem aber als unglückliches Bewusstsein. Überdies kreiert der Schauspieler mit minimalen Mitteln herrliche Parodien der Gespräche, die er mit den Kollegen führt – nur die emigrierte jüdische Freundin (Mira Helene Benser) erscheint als Video. Unterm Strích also: ein phlegmatischer Narziss, dem die Welt nur Kulisse dient, die intellektuelle Variante eines Werner Enke im Kultfilm »Zur Sache Schätzchen«. Der hat sich freilich für noch viel weniger interessiert, wusste aber, dass es böse enden wird.