Balletttänzerinnen und Rennpferde: Auf der Suche nach seinen bevorzugten Sujets wäre ein Edgar Degas (1834–1917) im Frankfurt von heute ziemlich aufgeschmissen. Aber natürlich gibt es erbaulichere Gründe als die Sünden der Stadtpolitik für das Städel Museum, uns die großartigen Skulpturen des französischen Künstlers zu zeigen.
Als Glanzstücke der Ausstellung »En Passant« demonstrieren sie zusammen mit den Werken von Medardo Rosso (1858–1928), Paolo Troubetskoy (1866–1938), Rembrandt Bugatti (1884–1916) und von Auguste Rodin (1840–1917) den »Impressionismus in Skulptur«, wie der Subtitel der über zwei Stockwerke verteilten Schau im hinteren Bereich des Kunsthauses, dem Peichl-Bau, verheißt. Die rund um die Jahrhundertwende entstandenen Exponate halten die Eindrücke der Künstler von ihren Objekten fest: en passant, im Vorübergehen gewonnene flüchtige Empfindungen – in Form gebracht. Genau dies hatte das kunstrichterliche Verdikt eines Arthur Rimbaud der Bildhauerei abgesprochen: den Zugang zur Moderne finden zu können. Allein, die Künstler hielten sich nicht daran – auf unterschiedlichste Weise.
Die »Kleine 14jährige Tänzerin« ist mit ihren 94 Zentimetern Größe der unbestrittene Star dieser Ausstellung und verzückt in ihrer Vitrine die Besucher gleich beim Entree in graziler Pose. Die Leihgabe aus einer Privatsammlung ist einer von 29 Bronzeabgüssen auf der Welt, ihr Original erblickte 1881 in Paris als einzige Skulptur der 6. Impressionisten-Ausstellung das Licht der Kunstwelt. Die auf einem Holzsockel drapierte Figur war das erste öffentlich gemachte Ergebnis der noch jungen Beschäftigung von Edgar Degas mit modellierender Kunst und bestand aus Wachs, echtem Haar, einer Haarschleife aus Satin, dem Tutu aus Tüll und einem Mieder aus Leinen. Aber nicht nur das Material, nicht nur die im verschlissenen Kostüm der Elevin sichtbar gemachte Gewöhnlichkeit der Szene und die Fingerspuren ihres Schöpfers frappierten die Öffentlichkeit. Zum Skandalon wurde, dass »La Petite Danseuse de quatorze ans« auf das Milieu hinter den Kulissen der Grande Culture verwies. Das nicht eben hübsche und noch kindliche Mädchen galt als Prostituierte und Kriminelle. Degas verzichtet forthin auf öffentliche Präsentationen seiner Skulpturen. Das gilt auch für seine Kleinplastiken, die Tänzerinnen in verschiedenen Stadien einer Bewegung zeigen, für die gleichsam im Galopp schwebenden Pferde und die Szenen badender Frauen.
Eine Entdeckung sind die Tierskulpturen des wenig bekannten Rembrandt Bugatti. Der Bruder des berühmten Autobauers arbeitete »sur nature« in der unmittelbaren Begegnung mit den Tieren mit Plastilin, was den verbeulten Oberflächen des ursprünglichen Knetstoffs anzusehen ist. Medardo Rossos »La Concierge« lässt die Züge der Porträtierten im sie umhüllenden Material verschwimmen. »Monumente eines Moments« hat der Italiener seine Werke bezeichnet, die dem goetheschen Gebot des augenblicklichen Verweilens zu folgen scheinen. Gegen alle Gebote des Fachs hingegen verankert August Rodin seine Figur des »Balzac« ungeschönt im Hier und Jetzt. Und in einer nachgerade hörbar rauschenden Garderobe präsentiert Paolo Troubetskoy die Mäzenin Adelaide Aurnheimer in seiner Skulptur »Nach dem Ball«. Nicht den fein modellierten Zügen der schönen Dresdenerin, sondern ihrem in einem Eleganzwettbewerb vorgestellten Kostüm der Manon Lescaut gilt hier alle Aufmerksamkeit. Die Kuratoren (Alexander Eiling, Eva Mongi-Vollmer) setzen die Plastik mit dem Gemäldeporträt des Amerikaners John Singer Sargent in einen Dialog, der uns auf eine unwiderstehliche Weise mit »Lady Agnew of Lochnaw« (1893) bekannt macht. »Society-Liebling« nennt der Wandtext dieses It-Girl ihrer Zeit.
Allen über separate Räume verteilten Arbeiten der Künstler haben die Kuratoren Gemälde, Pastellen, Zeichnungen oder auch Fotografien aus der Periode des Impressionismus beigesellt, darunter Meisterwerke von Monet, Bonnard, Claudel, Matisse, Renoir und Segantini. Insgesamt sind es 160. Grandios! Kunstfreunde werden die Corona-Bedingungen besonders zu schätzen wissen: Wann hatte man jemals zuvor so viel ungeteilten Raum im Städel?
Lorenz Gatt / Foto: © Norbert Miguletz
Bis 25. Oktober: Di., Mi., Sa., So., 10–18 Uhr, Do., Fr., 10–21 Uhr
www.staedelmuseum.de