Wenn es theaterperipherie nicht gäbe, man müsste sie erfinden. Man müsste sie tausendmal neu erfinden, und in diesen Zeiten noch viel mehr. Es ist genau das, was es meint. Theater an der Peripherie. Über die Peripherie, und vor allem: mit der Peripherie. Die eigentlich gar nicht Peripherie ist, nur in der öffentlichen Wahrnehmung oft so erscheint. Das meint: mit Migranten, mit Geflüchteten. Und mit dem unbarmherzigen Clash, den zwischen den beiden entsteht.
Damit ist der kulturellen Landschaft ein ganz besonderer Akteur zugewachsen, der mit seinen Themen wie ein Weberschiffchen durch den gesellschaftspolitischen Kontext gleitet und ihn füllt. Theater ist Kommunikation, und genau darum geht es. Der Stoff sind sie selbst, sie verkörpern ihn, und dann muss man sehen, wie das auf die Bühne kommt. Mal autobiografisch, mal als eine von Autobiografien genährte Geschichte.
Ute Bansemir führt theaterperipherie, und zusammen mit Hadi El-Harake probt sie derzeit »Beshir im Blätterland«. Beshir ist: Beshir Dabbag aus Syrien, und Blätterland ist: Deutschland. Gemeinsam mit Alisha Neal, die marokkanisch- arabische Wurzeln hat und Rezwan Ahmadi, der vor zweieinhalb Jahren aus Afghanistan nach Deutschland geflüchtet ist, hat Beshir Szenen erarbeitet, in die zahlreiche Erfahrungen eingeflossen sind, die sie in Deutschland gemacht haben. Der Fundus ist groß, und der unfreiwillig ungeplante Witz auch. Ist so ein bisschen wie Absurdistan, das Deutschland. Jan Deck, der auch als Dramaturg für die Produktion zuständig ist, hat die Texte geschrieben, die sich an der Diktion der Jugendlichen orientieren. Alles ist original, der Ton soll stimmen und sitzen. »Willkür« – dieses Wort würde man zum Beispiel nicht wählen.
Sie wollten nichts über ihre Flucht machen, sondern erzählen, was sie in Deutschland vorgefunden haben. »Du hast einen Termin um 8.25 Uhr, und sitzt um 8.24 Uhr mit dem Beamten am Tisch, aber es geht erst um 8.25 Uhr los« erzählt Beshir. Blätter, Blätter, Blätter, im Sportverein, bei der AOK und beim Sozialamt. Alles Hindernisse. In Syrien geht man hin und spricht miteinander, um etwas zu regeln, aber hier nur »Blätter, Blätter, Blätter«. Unterschrift und Punkt.
Ihn und Rezwan regt es auf, dass viele hier lebende Migranten sie als Scheiss Flüchtlinge bezeichnen, ihnen unterstellen, sie seien bloß aus wirtschaftlichen Gründen hier. Sie wissen nicht – oder sie ignorieren es – dass in den Heimatländern Krieg herrscht und die Taliban, und dass man viel lieber zu Hause wäre und sich nicht auf diese ganze neue Welt einstellen müsste, wo alles so anders ist, manchmal auch so unverständlich. Welchen Anfeindungen müssen sie sich hier stellen? Warum wechseln Mädchen die Straßenseite, wenn sie hinter ihnen gehen? Das tut weh, sagt Rezwan. Und der Schmerz, die Heimat wegen Krieg, Tod und Zerstörung verlassen zu haben, weil es eben nicht mehr ging, er läuft als abgrundtief trauriger Leitfaden stets neben dem Gesagten mit.
Dass man sich weit weg fantasiert, an einen anderen Ort, das gehört auch zu ihrer Realität. Sie wird in »Beshir im Blätterland« auf einer zweiten Ebene verhandelt. Auf der Bühne wird es dafür den Bollywood-Moment geben, oder Rap, auf alle Fälle Musik, vielleicht selbst geschriebene, das ist noch nicht klar, dazu eine Performance. Bollywood ist ein Fantasie-Ort, nichts darin ist wirklich. Das passt, meint Alisha.
Derzeit stehen drei Aufführungstermine im April und Juni im Titania fest. theaterperipherie ist eigentlich kein Theater – oder der Idealfall – sie ist ein Spiegel der Wirklichkeit.