»The Booksellers« von D.W. Young

Es gibt Menschen, die können sich ein Leben ohne Bücher nicht vorstellen. Man trifft sie in Buchhandlungen, auf Buchmessen und vor allem in Antiquariaten. Eine stattliche Anzahl von ihnen lebt in der Büchermetropole New York, wo der Dokumentarfilmer D.W. Young sich intensiv mit ihnen beschäftigt hat. »The Booksellers« heißt sein Werk. Es ist ein faszinierender Gang durch die Welt der Bücherverrückten und ein wunderbares Geschenk für alle Gleichgesinnten geworden.

Young hat viele von diesen kauzigen Exemplaren vor die Kamera geholt und etliches Archivmaterial gesichtet. Er beginnt mit dem legendären Antiquar Abraham Simon Wolf Rosenbach (1876–1952), der schlicht »the Doctor« genannt wurde und als der größte Bücher-Experte aller Zeiten gilt. Sodann werden die ersten Damen in der Männerdomäne, die Antiquarinnen Leona Rosenberg und Madeleine Sterne, vorgestellt, die auf eine 60-jährige Karriere zurückblicken. Sie erkämpften sich die Mitgliedschaft im renommierten, rein männlichen Grolier Club, der ältesten Bibliophilen-Vereinigung in den USA. Zahlreiche Buchhändler und -sammler – auch heute sind die Männer noch in der Überzahl – machen den Film zu einem vielstimmigen Kaleidoskop der Sammelleidenschaft.
Dabei sind die Händler nicht von den Sammlern zu unterscheiden, beides geht Hand in Hand. Händler sind Sammler, die sich von ihren Kostbarkeiten trennen können oder für eigene Kunden kaufen. Sonderlinge, die in einer Parallelwelt leben. In den Antiquariatsmessen finde er zumeist weißharige Männer in den Ständen, beschreibt ein Bibliophiler wehmütig seine Eindrücke.
Im Film ist die New York Book Fair zu sehen, wo alte Kostbarkeiten auf Käufer warten. Beim mühsamen Auf- und Abbau der Messe gilt es, die schweren Bücher zu transportieren. Da ist mancher froh, wenn er einige von ihnen losgeworden ist und sie nicht mehr mit nach Hause schleppen muss. Das Büchersammeln ist eben auch eine logistische Herausforderung.
Das Gewicht kann problematisch werden. Unter Umständen müssen die Fußböden für die Regale verstärkt werden. Der Film führt uns in ein Lager mit 300.000 Büchern, in dem es nicht immer leicht fällt, den Überblick zu behalten, und wir besuchen den unermüdlichen Bücherkäufer Adam Weinberger inmitten seiner Kartons und Bücherstapel.
Der Film würdigt viele Buchhandlungen aus der Vergangenheit mit historischen Fotos. 368 waren es in den 50er Jahren in New York, heute sind es 79. Das berühmte »The Strand« ist übrig geblieben; seine Mitinhaberin Nancy Bass Wyden kommt zu Wort.
Das 1925 von Louis Cohen gegründete »Argosy« hat überlebt, weil Cohens muntere drei Töchter das gesamte Haus besitzen und es nicht verkaufen wollen. Sie trotzen den schweren Zeiten, in denen sich die Branche befindet.
Denn der stationäre Buchhandel, wie es im Bürokratendeutsch heißt, wird vom Internet bedroht. Einigen Händlern jage das Wort »Kindle« einen kalten Schauer über den Rücken, sagt einer. Das elektronische Buch erscheint als Standard am Horizont. In den letzten 15 Jahren habe sich die Welt mehr verändert als in den 150 Jahren zuvor.
Bookscouts sind deshalb zu einer aussterbenden Art geworden. Denn jetzt kann man mühelos im Netz Bücher kaufen, die man früher jahrelang gesucht hätte. Dabei kommt der Suche eine große Bedeutung zu, mehr als dem eigentlichen Gegenstand: »Collecting is about the hunt, it‘s not about the object.« Der archaische Gegensatz zwischen Jäger und Sammler scheint in diesem Fall aufgehoben.
Ein Buch ist ein Kulturgut, aber ebenso ein Gegenstand, den man anfassen kann, der nicht nur einen Inhalt hat, sondern selbst auch eine Geschichte, und es gewinnt an Wert, wenn es noch den Schutzumschlag besitzt. Die Beziehung zu ihm ist »like a love affair«.
Gegen den drohenden Untergang der Buchkultur setzt der Film ein paar Hoffnungsschimmer: Bücher lesende junge Leute in der New Yorker U-Bahn (in Frankfurt eher selten zu beobachten), eine junge Afroamerikanerin, die mit wachsender Begeisterung Dokumente der Hip-Hop-Kultur sammelt, und einige junge Buchhändlerinnen, die bereit sind, die Tradition fortzuführen. Überhaupt scheinen die lesenden Frauen die alten weißen Männer abzulösen. Caroline Schimmel etwa, die eine der weltweit bedeutendsten Sammlungen der Werke von Schriftstellerinnen besitzt.
Auch das flammende Plädoyer für das Buch als ideale Filmvorlage, gehalten von Larry McMurtry bei der Oscar-Verleihung 2006 für das von ihm adaptierte Drehbuch zu »Brokeback Mountain«, spendet Zuversicht.
Im übrigen ist dies eine der wenigen Stellen, in denen es um Inhalte geht. Denn die ganze Sammelei wirkt manchmal reichlich überflächlich. Kaum ist im Film von der persönlichen Bedeutung, die der Inhalt der Bücher auf den einzelnen Sammler gehabt hat, die Rede. Von dem Buch, mit dem gewissermaßen alles begann.
Positiv in unseren Corona-Tagen, dass hierzulande die Buchhandlungen relativ früh öffnen durften. Doch die Zeit in unseren Kinos war für »The Booksellers« nur kurz bemessen. Nach dem Start am 29. Oktober 2020 kam bald der zweite Lockdown. Ab dem 23. April gibt es nun die Möglichkeit, sich diese einfühlsame Liebeserklärung, die Lust auf den nächsten Buchladenbesuch macht, per DVD oder Video on Demand anzuschauen. Und das kann allen Bücherwürmern nur empfohlen werden.

Claus Wecker
THE BOOKSELLERS
von D.W. Young, USA 2019, 99 Min.
Dokumentarfilm
Seit 23.4.2021 auf DVD und im Stream

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