Theater Willy Praml krönt die Amerika-Trilogie mit Kafkas Romanfragment »Der Verschollene«

8 Stationen bis Oklahoma

Nun also der letzte Teil der großen Trilogie: nach »Zoogeschichte« (Edward Albee) und »Grashalme« (Walt Whitman) jetzt »Der Verschollene« (Franz Kafka). Das Theater Willy Praml legt den Fragment gebliebenen Amerika-Roman als szenischen Parcours über acht Stationen an (Inszenierung, Regie, Konzept: Willy Praml/Michael Weber). Auf den Spuren von Kafkas 16-jährigem Roman-Protagonisten wird das ganze Gelände um die Spielstätte Naxoshalle durchwandert und Karl Roßmanns unfreiwilliges Erlebnis Amerika erfahrbar gemacht.
Der beste Platz für die Überfahrt Karls. den Starts des Stücks, ist an der Theke im Theaterfoyer, von wo man die Aktionen im Schiffsbauch live verfolgen kann: den niedrigen Raum des Heizers (Claudio Vilardo), die Kapitänsleiter, die zum Deck führende Treppe. Das Theater setzt dafür schon hier in bisher nicht gekannter Fülle massiv moderne Theatertechnik ein: Mobile Live-Kameras, Standbilder, Voice-Recorder, raffinierte Lichtreflexe und ab und an auch Kopfhörer.
Die große Fabrikhalle als zweite Station konfrontiert uns mit dem glitzerblau gekleideten unberechenbarem Onkel (Michael Weber), zu dem Karl wegen »unsittlichen Verhaltens« geschickt worden ist, und mit allen Insignien des gelobten Landes: vom Playboy-Bunny bis zum elektrischen Stuhl.
Dann geht es an die frische Luft zum Landhaus des Onkels: sprich auf die Dachterrasse eines Nachbargebäude der Wittelsbacher Allee. Hühner gackern, Kafkas Text per Kopfhörer, die Figuren – der Onkel und Tochter Klara – sehen wir auf dem Dach vis-à-vis. Im Hintergrund, die Lichter Mainhattans – genial!
Die Begegnung mit den zwielichtigen Gestalten Delamarche (Weber) und Robinson (Jakob Gail) erleben wir zurück in der kleinen Spielstätte mit Blick nach draußen, auf den Aufzug des Nachbarhauses mit der dicken Köchin (Muawia Harb). Auch als Liftboy im Hotel Occidental ist Karl überfordert. Hier ist Großes Kino angesagt, das Kafka liebte, und folgerichtig erscheinen US-amerikanische Filmikonen von Shirley Temple bis zu Laurel & Hardy. Auf der Galerie (!) in der großen Halle muss die dicke Sängerin Brunelda (Birgit Heuser) gewaschen werden – eine an absurder Komik kaum zu übertreffende Szene – und ebenfalls in weiter Ferne taucht das Fenster eines lernenden Studenten auf.
Als Karl letztlich die Schauspielprüfung für das »Naturtheater Oklahoma« besteht sehen wir ihn durch die Glaswand der Halle auf der Zuschauertribüne, nach und nach kommen alle andern dazu, da sitzen sie nun und warten – in ihrer Glückshaut?
Großartig alle Schauspieler in mindestens drei Rollen, großartig auch Karl Roßmann, der sich verdreifachen muss, um dem ›american way of life‹ gerecht zu werden (Virginia Hartmann, Elisabeth Marie Leistikow, Anja Signitzer), wunderbar die Lesung ausschließlich von Kafka stammender Texte – »Das Urteil«, eine andere Art der Verdammnis, wird eingeschoben –, grandios der Parcours durchs Gelände und Text. Durchaus anstrengend, die vier Stunden, aber ein Ereignis, das man nicht verpassen sollte.

Katrin Swoboda (Foto: © Seweryn Zelazny)
Termine: 12., 13. April, jeweils 19.30 Uhr
www.theater-willypraml.de

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