Theaterbühne der Natur – Naturkunde-Portraits: Baobab und Tauben

Meinen ersten Baobab sah ich an einem ausgetrockneten Flussbett im australischen Outback. »Dead rat tree« nennen ihn die Aussies, Baum der toten Ratten. Dies, weil die an den Ästen hängenden Früchte solch einen Eindruck erwecken. Auch im Landesinneren von Tasmanien traf ich Baobabs an, sie sind tatsächlich mit denen Afrikas verwandt. Der langjährige Afrikakorrespondent Marc Engelhardt widmet diesem mystischen Baum jetzt ein Portrait in der von Judith Schalansky herausgegebenen Reihe »Naturkunden« – für mich neben der Anderen Bibliothek das schönste verlegerische Unternehmen auf unserem Buchmarkt.
Der riesige, unförmige Baum, der aussieht, als sei er auf der Theaterbühne der Natur mit den Wurzeln gen Himmel gewachsen, bietet den Menschen südlich der Sahara nicht nur Nahrung, sondern auch einen schier unermesslichen Speicher an Wasser und Weisheit. Weil er auch in Hitze und trotz Trockenheit gedeiht, ist er nicht selten Mittelpunkt von Siedlungen und Sagen. Sein Name kommt aus dem Arabischen und leitet sich vom Ausdruck „bu hibab“ ab was so viel heißt wie »Frucht mit vielen Samen«. Als »Superfood« hat der Affenbrotbaum es bis in unsere Reformhäuser und in die Edeka-Filialen geschafft. Das wunderschöne Buch über ihn ist Nahrung anderer Art.

Und auch das Naturkunden-Portrait »Tauben« von Karin Schneider schürft tiefer. In den Kurzbewertungen auf Amazon kommt das Buch nicht gut weg, zu deutlich formuliert die Autorin wohl ihre Distanz zu Brieftaubenzüchtern. Dafür aber gewinnt die Religionswissenschaftlerin und Ethnologin den heute als Ratten der Lüfte gebrandmarkten Vögeln, die Jahrtausende lang als universelles Symbol der Reinheit galten, viele andere, interessante Seiten ab. Da, wo heute Chicago ist, konnte es vorkommen, dass drei Milliarden Wandertauben in einem Schwarm von 500 Kilometern Länge und 1600 Metern Breite vierzehn Stunden über einen Ort hinwegflogen. Der Vogelkundler John James Audubon wohnte einen solchen Taubenzug 1813 in Kentucky sogar einmal über drei Tage bei. – Und dann wurden sie erbarmungslos ausgerottet.
Wie immer als Markenzeichen der Reihe gibt es am Ende des Buches elf illustrierte Einzelportraits, ausgewählt aus 344 Taubenarten, und gewiss kein leichtes Unterfangen.
Nicht sattsehen kann ich mich an dem taubenblauen, haptisch sehr angenehmen Umschlag und dem rosaroten Vorsatzpapier.

Alf Mayer
Marc Engelhardt: Baobab: Ein Portrait. Reihe Naturkunden, Band 70. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2021. 143 Seiten, gebunden, durchgängig illustriert, 20 Euro.
Karin Schneider: Tauben. Ein Portrait. Reihe Naturkunden, Band 69. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2021. 160 Seiten, gebunden, durchgängig illustriert, 20 Euro.

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