Eine Lawine legt sich quer
Sie tönt und flötet und trällert wohlgelaunt vor sich hin, die Frau im roten Kleid mit der merkwürdigen Blümchenhaube und dem Wäschekorb. Es ist eine Gute-Laune-Melodie, die auch den kleinen Zuschauern bald nicht mehr aus den Köpfen will. Den großen im Saal des Theaterhauses ist »Singin’ in the Rain« aus dem gleichnamigen Film mit Gene Kelly oder aus Stanley Kubricks »Clockwork Orange« geläufig, oder einfach als Hit.
Weshalb die Frau mit dem Wäschekorb beim Aufhängen ihrer bunten Leintücher so gute Laune hat, werden wir bald erfahren. Dass sie etwas im Schilde führt, merken wir an ihren spähenden Blicken zur Tür im Hintergrund und zur Seite. Sollen wir es verraten? Okay. Die Frau hat ihre Wäsche, naja, zum Fressen gern – sie nascht, jetzt ist es raus, heimlich bunte Betttücher. Wie das geht? Das behalten wir noch für uns. Aber erfunden ist die Geschichte nicht, schließlich haben zwei Kinder das Rätsel der verschwundenen Tücher gelöst und so dafür gesorgt, dass sie in Franz Hohlers »Das große Buch« gelandet ist.
Das Ensemble des Frankfurter Kinder- und Jugendtheaters Theaterhaus hat den mit rund 90 unglaublichen Geschichten vollgepfropften großformatigen Sammelband des Schweizers über die kleinen und großen Rätsel des Lebens als Fundgrube genutzt. Fünf Geschichten davon hat Regisseurin Elisabeth Gründel mit den Schauspielern Susanne Schyns, die hier die Wäsche essende Waschfrau gibt, Uta Nawrath, Günther Henne und Michael Meyer auf die Bühne gebracht. Und eine ist verrückter als die andere.
Wie die »Die Spaghettifrau«, die Geschichte von einem Mädchen, das von den Eltern zum Spaghetti-Kaufen in den Supermarkt geschickt wird und dort verschwindet. Beim ersten Mal kurz, dann aber länger. Bis herauskommt, dass sie von der italienischen Bäuerin auf dem Packungsetikett in ihre sonnige Heimat eingeladen worden ist. Die dritte Geschichte handelt davon, wie die Kleidung des Herrn Zogg sich eines schönen Morgens, als dieser verschläft, ganz allein auf den Weg zur Arbeit ins Büro macht. Dumm nur, dass gerade Zahltag ist und der Anzug von Herrn Zogg damit auf Reisen geht. Herr Zogg selbst aber wird, weil er ja nix mehr zum Anziehen hat, zum Bademeister. Eine vierte Geschichte weiß von einer uralten Schatztruhe in Frankfurt und zeigt in einem Video, wie zwei Jungs mit einer Schatzkarte auf Schatzsuche gehen und wie sie über den Zoo und die Hauptwache bis zu den Schließfächern des Hauptbahnhofs gelangen.
Die fünfte hat das Zeug zur Lieblingsgeschichte und heißt: »Die dumme Lawine«, denn sie erzählt, wie eine kleine weiße Lawine sich im Lawinenunterricht fragt, wieso Lawinen immer herunterrollen und größer werden und alles unter sich begraben müssen. Klar, dass die Lawinenlehrerin die Querdenkerin für ziemlich dumm hält. Wo gibt es denn so was, Lawinen, die den Berg hinaufrollen. Beirren lässt sich die Kleine freilich nicht – und rettet so einem kleinen, lieben Jungen das Leben. Von sechs Jahren bis endlos.