Beim Lesen ist man mehr amüsiert als gepackt, wenn im rasenden Schlusskapitel von Max Annas‘ Roman »Illegal« der Ghanaer Kodjo um sein Leben rennt. Dem entgeht trotz aller Tragik auch Hannah Schassners Fassung auf der Bühne der Theaterperipherie nicht. Ihm, Kodjo, dem Illegalen, sind nämlich nicht nur Heerscharen von Polizisten, in Zivil und in Uniform auf den Fersen, die ihn für einen Prostituiertenmörder halten, sondern auch ein Trupp von Kontrolleuren der Berliner Verkehrsgesellschaft (!), die »Nazi-Schweine« einer Security und der Mann, dem diese gehorchen. Vorletztere sind ein bisschen wie Dick und Doof, ihr Boss aber ist der wahre Killer: ein perverser Baubetrüger, den Kodjo Hitchcock-mäßig (»Rear Window«) beobachtet und enttarnt hat. Wie vom alternativen Berlin-Tourismus gesponsert rennt und rennt und renn er nun durch Moabit, Friedrichshain, Charlottenburg, Kreuzberg, Mitte, zum Prenzlauer Berg und natürlich final und letal nach Neukölln.
Hannah Schassner hat dem versuchten Hauptstadt-Hype-Thriller einen weißen Rahmen (Bühne: Hannah von Eiff) verpasst, der dessen cineastisches Format ebenso unterstreicht, wie die Distanz der Regie dazu. Zu einem Projekt der Theaterperipherie macht ihn anderes: Kodjo ist weder Flüchtling, noch passt er sonst in ein Klischee, er ist ein arbeitsloser Historiker, dem es in Berlin gefällt, den fehlende Papiere aber zu einem Illegalen machen, der öffentlich folglich unsichtbar bleiben muss. Aber versuch‘ das mal als Schwarzafrikaner, selbst nachts.
Denn so fängt es an, dass Kodjo auf menschenleerer Straße mit einem Freund an einer roten Ampel steht. Was tun als Farbiger, wenn 20 Meter weiter eine Streife parkt. Wir erleben mit ihm die Verwicklungen, in die er – nicht immer nachvollziehbar – stürzt, aber auch seine kleine solidarische Gegenwelt rund um das Szene-Café Hibiskus, in dem er jobbt. Ein paar Kisten, hin und her gerückt und gestapelt, sowie ein Rahmen stellen Café, Bleibe, Versteck oder U-Bahn vor, gerannt und verfolgt wird im Stand. Sechs junge Darsteller, alle neu auf der Bühne, machen das bestens, der charismatische Ali Napoé ist als Kodjo genauso ein Glücksgriff wie die Musik von Max Clouth, die das Geschehen mit Saxophon und Klarinette untermalt und die verspielte Gitarre von Darios Vaysi. Dieser steht als Erzähler vor der fiktiven Leinwand, gibt bei Kodjos inneren Dialogen auch dessen Über-Ich und wird später zum emphatischen Busfahrer. Die beherzt spielenden Ejiro Eva Iteires (Maria), Mirrianne Mahn (Issa), Benjamin Cromme (Beni) und Tina Schuckmann (Lina) werden in weißen Kapuzen zu Repräsentanten der ausnahmslos feindlichen Außenwelt.
In die Inszenierung fließen auch Ideen der Darsteller ein, wie Marias Präferenz für Ernst Bloch oder Kodjos Gedanken über ein Deutschland ohne seine Verlierer, zu denen übrigens gar nicht passt, wenn er auf der Flucht nur noch »Nazi-Schweine« um sich sieht. Ganz bruchlos funktioniert das nicht, auch die spürbaren Herausforderungen durch das hohe Tempo, das alle gehen, sollten sich limitieren lassen. Unsere Welt morgen sähe anders aus, zitiert der Erzähler das Spielzeitmotto gleich zu Beginn.