Echt männlich gesprochen
Was für ein Herzchen, für ein Hascherl, diese Amalia im roten Kleid. Wie verloren auf einem hohen Podest stehend, blickt sie auf die böhmischen Wälder hinab und versucht, ganz in Gedanken bei ihrem so fernen Geliebten zu sein, der ein Räuberhauptmann geworden ist. Sogar Bier trinkt Amalia im Geiste mit, obwohl sie das mit dem Flasche-Stemmen nicht so gut kann. Kaum zu glauben, dass und wie die hier so trefflich ungelenke Verliebte (Christin Dietzel) mit einem grandiosen Solo für einen Höhepunkt der eigenwilligen Inszenierung der Theaterperipherie von Schillers »Die Räuber« sorgen wird. Aber dazu später.
Amalias Dauerpräsenz hoch über der von seitlichen Sitzbänken eingerahmten Spielfläche ist die erste große Setzung der Regisseurin und Ensemble-Chefin Ute Bansemir in diesem Stück. Die zweite: Alle Männer, die es in ihre Fassung gebracht haben, werden von Frauen gespielt. Anders etwa als ihre Kollegin Simone Blattner, die vor anderthalb Jahren in ihrer Darmstädter Penthesilea (Strandgut 01/2015) Frauen, wo nötig, Bärte und tiefe Stimmen verschrieb, denkt Bansemir überhaupt nicht daran, das Genderspiel zu kaschieren. Sie betont es sogar mit engen weißen Pullis und streng gestrafften Lederhalftern für Karl (Silvana Moribito), Roller (Pinar Dorsun), Ratzmann (Susanne Kaiser), Schweizer (Almut Poppinga) und Spiegelberg (Lisa Deniz Preugschat). Zum Lachen, klar, aber auch dekuvrierend lächerlich wirkt das. Nur die spielwütige Bahar Sarkohi, die Karls fiesen Bruder Franz in Personalunion mit dem alten Moor verkörpert, trägt geschlechtsneutrales Schwarz.
»Wann ist der Mann ein Mann?« hat sich schließlich schon Friedrich Schiller gefragt und unter der dünnen Decke der Zivilisation Antworten gefunden, die uns noch immer bestens geläufig sein. Es wimmelt in seinem Text von Sprüchen und Spott über die »Kraft der Lenden« und das »Kastraten-Jahrhundert«. Die Testosteronproduktion in den Böhmischen Wäldern lässt keine Macho-Wünsche offen. »Das ist männlich gesprochen!« heißt es ein ums andere Mal. Fühlt und sieht sich aber, wie mit Ladungen von Leim vor dem Latz und auf die Locken subästhetisch vermittelt, nicht immer gut an.
Wesentlich schwieriger gestaltet es sich, abseits der – mit putzfreundlichen Plastikplanen belegten – blut- und spermatriefenden Schlacht- und Stoßfelder individuelle Charaktere zu entwickeln. Eigentlich (und ausgerechnet) findet nur Spiegelbergs Profilneurose genügend Raum zum Eigenleben. Immerhin hat Sylvana Morabitos mit schöner Ironie präsentierter Karl gewiss schon Werther gelesen – oder Grönemeyer gehört. Vom Hasenherz zum Löwenmut ist bei ihr eine gelächelte Sache von Sekunden.
Für Amalias großes Liebesbekenntnis mit der Country-Ballade »Stand By Your Man« dürfte indes weniger Tammy Wynette Vorbild gewesen sein, als die »Wicked Game«-Version von Pipilotta Rists Frauenband Les Reines Prochaines. Ein Spaß, dem man sich genauso wenig entziehen kann und mag, wie den alternativen Finalszenen, mit denen das ansteckend lustvoll spielende Ensemble den Räuberspuk zum glücklichen Ende bringt.