»Wer keinen Bugatti hat, kann sich nicht vorstellen, wie angenehm Ivo gerade sitzt.« – In, natürlich, einem Bugatti, den er sich, der österreichische Fußball-Profi, problemlos leisten kann.
So beginnt »Nicht wie ihr«, der erste Roman des jetzt einunddreißigjährigen österreichischen Autors Tonio Schachinger. Ein Roman über einen Fußballer. Mit diesem Debut gelangte er, 2019, gleich auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Schon ungewöhnlich, wie vieles bei ihm: Österreicher, aber in New Delhi geboren, Vater Diplomat, Mutter lateinamerikanische Künstlerin, in Wien aufgewachsen, und mit seinem ersten Buch gleich in die erste Liga aufgestiegen. Jetzt ist sein zweiter Roman erschienen.
Till Kokorda geht auf ein traditionsreiches, elitäres Internat, mitten in Wien, das »Marianum«.
Park, Sportplätze, sogar eine Grotte gibt es auf diesem Gelände. Tills Vater starb, als er gerade zehn Jahre alt war. Seine Mutter arbeitet und ist froh, »ihn betreut zu wissen«. Sonst aber weiß sie wenig von ihm. Nichts von seinen Interessen, nichts von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten (beim Computer-Spiel, bei dem er bald zu den ganz Großen dieses Metiers gehört).
Till ist ein stiller Schüler, der sich am liebsten im Hintergrund hält. Während seiner gesamten Schulzeit hat er einen Klassenlehrer, der Deutsch und Französisch unterrichtet und ansonsten mit allen Mitteln versucht, seinen Schülern das Leben schwer zu machen. Dieser Herr Dolinar ist ein antiquierter, despotischer immer schwarz gekleideter Sonderling. Bildung bedeutet für ihn Detailwissen, nach der Devise: Fakten, Fakten, Fakten. Die drei goldenen Regeln, nach denen er seine Klassenlektüre auswählt, lauten »Nichts aus dem zwanzigsten Jahrhundert, keine Übersetzungen und nichts, was nicht als Reclamheft erhältlich ist«. Eine andere Maxime: Schüler müssen lernen, »alles zu ertragen, was von ihnen verlangt wird« und zwar widerspruchslos. Das heißt, die gesamte Schulzeit unter dem fanatischen Dolinar ist geprägt von Ängsten, Drohungen, von Strafarbeiten und Nachsitzen. Schachinger, der hier vermutlich aus eigener Erfahrung sprechen kann, formuliert eine klare Meinung zu dieser Schule und zu den Wienern überhaupt. »Akademisch, mittelmäßig, ambitionslos, aber trotzdem eingebildet«. »Das Besondere an Wien sind die Wahnsinnigen mit bürgerlicher Fassade, die weitgehend funktionieren, aber nie von hier wegziehen könnten, weil ihr menschenfeindliches Verhalten in keiner Stadt so wenige Konsequenzen hätte.« Till entflieht dieser Welt durch exzessives Computer-Spielen. In dem Spiel »Age of Empire2« (AoE2), einem Echtzeit-Strategiespiel, kann er großartige Dinge erschaffen. »Wände klein schlagen, Treppen in den Himmel bauen, … jedes erdenkliche Hindernis überwinden.« Dafür verzichtet er auf Schlaf, kommt oft zu spät zum Unterricht, erhält Strafarbeiten, muss nachsitzen. In der Computerwelt ist er schon mit fünfzehn Jahren der jüngste Top-Ten-Spieler der Welt. Er reist zu Messen, fliegt um die ganze Welt, sogar nach »Schanghai«, ein echter Gamer. Er lernt »normale Menschen mit unspektakulärem Äußeren, aber Legenden in der Welt von AOE2« kennen. Er trifft einen Typ, der »einer der Top-30-Fortnite-Spieler Europas ist und schon fast eine halbe Million mit Preisgeldern eingenommen hat«. Ihm wird klar, wie die analoge Welt, sein Internatsdasein und die digitale Welt, in der er ein Star ist, aufeinander prallen. In dieser anderen Welt gibt es für ihn keine Schikane, keine Entwürdigungen, durch Gaming schafft es Till »das Leben zu vergessen und zu ertragen«.
Sein Leben, auch an der Schule, verändert sich, als er zwei Mädchen, Feli und Fina aus der Parallelklasse näher kennen lernt. Sie machen viel gemeinsam, treffen sich in der Raucherecke, gehen zusammen in Kneipen und rauchen Gras. Feli wird Tills große Liebe, doch sie trifft auch andere Jungens und so muss er eine intensive Leidenszeit durchstehen, bis sie endlich seine richtige Freundin wird.
Feli, frech, auch dreist, fliegt kurz vorm Abitur noch von der Schule. Doch sie hat reiche, einflussreiche Eltern und bekommt schnell einen Platz an einem anderen Gymnasium.
Feli, das begreift Till, »gehört zu den Menschen, die im Grunde sowieso nicht scheitern können, weil auch der größtmögliche Absturz sie nie hinter den Punkt zurückwerfen könnte, auf den andere ein ganzes Leben hinarbeiten«.
»Echtzeitalter« ist ein zeitgenössischer Bildungsroman, allerdings ausgerichtet an einer Gegenwart, die der herkömmlichen Bildung leichtfüßig entlaufen ist. Die politischen Skandale der jüngsten österreichischen Geschichte, Sebastian Kurz, Ibiza-Gate, spielen ebenso mit hinein wie der Lockdown in Corona-Zeiten. Es ist aber vor allem eine Konfrontation der digitalen Kultur mit unserer analogen Welt.
Till ist ein erfolgreicher, genialer Gamer, der auch ohne Literatur und Bildung, wie sie sein zurückgebliebener Lehrer fordert, mehr als erfolgreich wurde. Er macht genau das, was er kann und der Autor, Schachinger, kann das in eine Sprache übersetzen, die genau den Ton seiner Generation trifft und witzig, mit ironischem Unterton, eine Welt beschreibt, die eine heute vielbeschworene Zeitenwende bereits hinter sich hat.
Am Ende trifft der Held einen ehemaligen Mitschüler, der besonders gedemütigt, schikaniert, ja gequält wurde, aber jetzt versucht, seine Schulzeit zu verklären: »schon super, eigentlich«! Till, empört: »Spinnst du? Es war die Hölle, du Idiot.«