»Ich schreibe, um ein anderer Mensch sein zu können«
Mercedes Rosende, ihre Figur Ursula in einem neuen Roman und Patricia Highsmith
Mercedes Rosende aus Uruguay arbeitete als Menschenrechtsanwältin und Journalistin, machte sich ihren Namen in einer Macho-Welt. Sie hat kein Problem, sich eine Feministin zu nennen, schreibt aber mit großem Vergnügen abseits der militanten Diskurse und hält es mit Umberto Ecco: »Humor führt an den Kern der Sache heran.« Für »Krokodilstränen« um die Hobbykriminelle Ursula López erhielt sie 2019 den deutschen LiBeraturpreis. Es folgten »Falsche Ursula« und »Der Ursula-Effekt«. Das neue Buch »Ursula fängt Feuer« schließt unmittelbar daran an – alle Romane sind im Unionsverlag erschienen und können auch alleine gelesen werden.
Die übergewichtige, mit ihrem Körper, ihrem Leben und ihrer Vergangenheit nicht ganz zufriedene Fünfzigjährige namens Ursula López aus dem südamerikanischen Uruguay ist eine der ungewöhnlichsten Figuren der Kriminalliteratur. Mercedes Rosende, die erst selbst mit fünfzig zur Schriftstellerin wurde, hat dieser robusten und temperamentvollen Frau, die nicht gehorchen will, nun einen vierten Roman gewidmet. Er braust mit mindestens so viel Tempo wie seine drei Vorgänger daher, nimmt uns mit auf eine wilde Fahrt. Nach der Sache mit dem Geldtransporter ist Ursula López auf der Flucht, mit Millionenbeute im Gepäck. Kommissarin Leonilda Lima ist ihr auf den Fersen, ebenso ein hochgefährlicher Mafioso. Und jenseits der Grenze zu Brasilien, wohin Ursula will, wartet schon Kommissarin Pintos Cunha. Ein Identitätstausch könnte da vielleicht eine gute Sache sein. Alf Mayer, der die Autorin seit Jahren kennt, hat ein Interview mit ihr gemacht.
Frage: Kann man »Ursula fängt Feuer« als Hommage an Patricia Highsmith (die im Februar vor 30 Jahren verstorben ist) verstehen? Wie Tom Ripley vor 70 Jahren – so lange ist die Erstveröffentlichung von »The Talented Mr. Ripley« jetzt schon her – nimmt Ursula eine andere Identität an. So viel darf man, glaube ich, aus Deinem Buch verraten.
Mercedes Rosende: Obwohl es keine bewusste Absicht war, Patricia Highsmith und ihren wunderbaren Tom Ripley zu ehren, wäre es eine großartige Idee gewesen, wenn ich darauf gekommen wäre. Ich tröste mich jedoch mit dem Gedanken, dass wir Schriftstellerinnen und Schriftsteller uns der Einflüsse der Texte, die wir lesen, nicht vollständig bewusst sind, und wer weiß, ob nicht eine unbewusste, unbeabsichtigte Hommage dahintersteckt. Der andere interessante Punkt hat mit dem Wunsch zu tun, eine andere Persönlichkeit anzunehmen, ein Wunsch, den ich gut kenne und schon immer hatte. Ich glaube sogar, dass ich schreibe, um ein anderer Mensch sein zu können: eine Mörderin, eine korrupte Polizistin, eine aus dem Gefängnis ausgebrochene Gangsterin. Auch Ursula hat seit dem ersten Buch der Tetralogie ihr Bestes gegeben, aus ihrer Haut zu schlüpfen und jemand anderes zu sein. Vielleicht hat sie diesen Wunsch von mir.
Dass Ursula jedem Mann Paroli bieten und zu einem modernen Tom Ripley werden kann, sagt uns etwas, nicht wahr?
Nun, die Kriminalliteratur macht ihre Fortschritte, und wir Frauen auch (lacht). Ich weiß nicht, ob Ursula jedem Mann Paroli bieten kann, früher oder später finden wir alle unsere Nemesis. Rocco ist ein gefährlicher Verbrecher, er ist gerade aus dem Gefängnis ausgebrochen, er muss das Land verlassen und ist zu allem bereit. Die Situation wird für Ursula dieses Mal besonders riskant. Wir werden sehen, wie sie aus diesem Schlamassel wieder herauskommt.
Dein erstes Buch »Demasiados blues« (»Zu viel Blues«) erschien 2005. Du veröffentlichst also seit zwanzig Jahren. Bist du heute eine andere Autorin?
Das waren Kurzgeschichten. Mein erster Roman erschien 2008 in Uruguay, da war ich schon fünfzig. Damals wusste ich, dass ich spät dran war, und erwartete keine große Karriere als Schriftstellerin. Von meinem ersten Roman wurden etwa fünfhundert Exemplare verkauft, ein paar Rezensionen sind erschienen, ich habe zwei oder drei Interviews gegeben und das war okay. Heute erscheinen meine Bücher in mehreren Sprachen und Ländern. Tief im Inneren aber, glaube ich, hat sich nichts geändert. Ich fühle mich immer noch nicht wie eine »Schriftstellerin« – eher wie eine Hochstaplerin, die den Platz einer anderen eingenommen hat. Aber Vorsicht: Hochstaplerin bedeutet nicht, sich unwohl zu fühlen. Ich liebe es, »jemand anderes zu sein«, auch wenn es nur für kurze Zeit ist.
Ursula begleitet dich jetzt schon lange. War sie es, die nach dem vierten Buch gefragt oder es vorgeschlagen hat?
Im Oktober dieses Jahres wird Ursula vierzehn Jahre alt. Vierzehn Jahre! Wir sind schon eine lange Zeit zusammen. Ich habe sie Stück für Stück kennengelernt, ihre Persönlichkeit hat sich mit der Zeit und über all diese Buchseiten offenbart. Im vierten Roman der Reihe überraschte sie mich mit bisher verborgenen Eigenschaften, zum Beispiel mit ihrem Gerechtigkeitssinn. Und nein, meine Figuren erscheinen mir zum Glück nicht im Schlaf. Aber wenn ich über sie schreibe, sehe ich sie deutlicher vor mir, was dann neue Handlungsstränge und Abenteuer nahelegt.
Werden wir Ursula wiedersehen?
Ich weiß nie, was mit Ursula in Zukunft passieren wird, ob sie Teil eines nächsten Projekts wird oder in Rente geht. Als Schreibende haben wir unendlich viele Möglichkeiten, wenn wir einen Text beginnen. Ein Buch kann unendlich viele Bücher umfassen, wenn wir vor dem leeren Blatt sitzen. Daher weiß ich nicht, was in dem Roman, den ich gerade schreibe, passieren wird. Es ist ein Spin-off der Ursula-Reihe, ein Noir gemischt mit Horror, real und psychologisch. Wird Ursula in dieser Geschichte einen Platz haben? Im Moment nicht, und wenn doch, muss sie sich mit einer Nebenrolle zufriedengeben, denn in diesem Roman ist Leonilda Lima die Auftraggeberin. Sie ist Kommissarin und Ursulas Gegenspielerin.
Ursula sagt: »Ich lese keine Zeitungen, aber ich gehe ins Kino.« Deine Erzählweise als Autorin ist sehr filmisch, aber deine Figuren lassen es auch zu, dass wir in ihr Inneres reisen …
Ich erzähle nicht bewusst filmisch. Aber meine Methode (die einzige, die ich kenne) besteht tatsächlich darin, Szenen zu schreiben. Ich nehme an, das verleiht dem Text den visuellen Charakter. Das Kino schleicht sich in meine Bücher, ohne dass ich es will. Ebenso wenig nähre ich meine Figuren bewusst von mir, meinem Inneren, meinen Fehlern, Schwächen und Tugenden, ich kann es aber auch nicht vermeiden. Wie Flaubert in seinem berühmten Satz gesagt hat: »Madame Ursula, das bin ich.«
Du scheinst mit dir selbst als Schriftstellerin im Reinen zu sein, du wechselst Fokus und Erzähler nach Belieben. Das wirkt frei und selbstsicher. Was ist das Schwierige am Schreiben?
Ein Text enthält unendlich viele Texte, wenn ich vor dem leeren Blatt sitze. Das ist der Teil, den ich am meisten genieße, der Teil, der mich glücklich macht. Frei zu sein, das bedeutet zu schreiben und nicht zu wissen, wohin es geht. Die vielen Möglichkeiten angesichts des Ungewissen. Aber wenn die Wege gewählt sind und der Roman geschrieben ist, muss man daran arbeiten, ihn auf Kohärenz prüfen, Fehler finden, den Text verbessern. Das finde ich eher langweilig. Dieser Teil ist dank meiner Erfahrung inzwischen reine Routine. Der Spaß liegt im Erfinden.