»Vice – Der zweite Mann« von Adam McKay

Ein Film über einen amerikanischen Politiker, der nicht US-Präsident war, sondern in der zweiten Reihe stand. Kann das hierzulande jemanden interessieren? Ja, wenn der Drehbuchautor und Regisseur Adam McKay heißt. Der hat mit »The Big Short« auf sich aufmerksam gemacht, einem Film über die Finanzkrise, über ein Kapitel der Zeitgeschichte also, in dem die Geldgier parodistische Züge bekam – frei nach dem Motto: die witzigsten und für viele Menschen verhängnisvollsten Geschichten schreibt immer noch das Leben.

Sein aktuelles Werk »Vice« steht bereits auf den Bestenlisten in den USA. Oscarehren erscheinen am Horizont, und Hauptdarsteller Christian Bale wurde bereits mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Bale spielt Dick Cheney, den Vizepräsident unter, besser gesagt: neben George W. Bush, der um alles in der Welt von seinem Vater und Ex-Präsidenten Georg Bush anerkannt werden wollte. Cheney war Mastermind im Hintergrund, ein amerikanischer Richelieu der Neuzeit und ebenso gefährlich. Adam McKay hat ihn ins Zentrum einer neuen Politsatire gerückt.
»Vice« erinnert vor allem deshalb an »The Big Short«, weil in beiden Filmen die Mechanismen der Macht mit Ironie bloßgelegt werden. Aus dem »Vorgängerfilm« stammt auch Cristian Bale. Er habe das Drehbuch mit ihm im Kopf verfasst, kommentiert der Regisseur. Und irgendwie bestehen ja tatsächlich gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem smarten Finanzjongleur Michael Burry, der die Immobilienkrise heraufziehen sah, und Dick Cheney, der nach dem Anschlag 9/11 ein neues Zeitalter anbrechen sah, in dem die verantwortlichen Poltiker von verängstigten Bürgern einen Blankoscheck ausgestellt bekamen.
Verblüffend ist allerdings, dass man Christian Bale in seiner Maske kaum erkennen kann, so perfekt hat ihn der Make-up-Virtuose Greg Cannon in das Vorbild verwandelt. Ein Make-up-Oscar dürfte ihm so gut wie sicher sein.
Das Klischee, hinter einem starken Mann stehe eine starke Frau, wird auch in diesem Film bestätigt, denn ohne seine Frau Lynne ist – so wenigstens die Lesart McKays – Dick Cheney nicht denkbar. Auf ihre Drohung, ihn andernfalls zu verlassen, kommt er vom Alkohol los (eine kleine Simplifizierungen im Film). Sie springt auch nach einer Herzattacke ihres Mannes für ihn im Wahlkampf ein und verfasst später politische Bücher.
Steve Carrell, ein weiterer Akteur aus »The Big Short«, spielt Cheneys Mentor und später abservierten Mitarbeiter Donald Rumsfeld. Auch er ist ein gerissener Stratege, Verteidigungsminister und einer der Initiatoren des Irakkrieges. Und Sam Rockwell, den rassistischen Polizisten aus »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, erkennt man ebenfalls kaum wieder in seiner Verwandlung zu George W. Bush, der in jungen Jahren auch dem Alkohol verfallen und so etwas wie das schwarze Schaf der Familie Bush war.
Obwohl »Vice« mit einer Fülle von eingeschnittenem Dokumentarmaterial aufwartet – etwa die entscheidenden 537 Stimmen in Florida, die höchstrichterlich nicht nachgezählt werden durften und Bush Jr. zur Präsidentschaft verhalfen, werden erwähnt oder ein Redeausschnitt von Tony Blair zum Irakkrieg ist einmontiert –, betont McKay immer wieder, dass wir es mit einer filmischen Aufarbeitung zu tun haben, die mitunter auf Vermutungen angewiesen ist. Ein wichtiger Dialog im Schlafzimmer des Paares Cheney wird gar mit Shakespeare-Versen geführt.
Vollends schwarzhumorig ist der Erzähler Kurt (Jesse Plemons), der deutlich macht, welche Folgen Cheneys Politik für viele Menschen haben kann. Für alle, die im Irakkrieg verheizt wurden, sind sie ganz und gar nicht lustig.

Claus Wecker
VICE – DER ZWEITE MANN
von Adam McKay, USA 2018, 132 Min.
mit Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell
Politsatire
Start: 21.02.2019

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