Dieser Film kommt mit einer ganzen Reihe von Festivalauszeichnungen in unsere Kinos, darunter der Publikums- und der Drehbuchpreis auf dem renommierten Sundance Festival 2020. Der Erfolg dürfte der Perspektive geschuldet sein, die von der mexikanischen Regisseurin Fernanda Valadez für ihren ersten Langfilm gewählt wurde. Valadez erzählt nämlich ihre Geschichte aus dem Norden Mexikos nicht aus der Sicht der Drogenkartelle oder der gegen sie kämpfenden nordamerikanischen Ermittler, sondern aus der Sicht einer Mutter, die ihren verschwundenen Sohn sucht.
Jesús (Juan Jesús Varela) ist noch keine zwanzig Jahre alt, als er seiner Mutter Magdalena (Mercedes Hernández) mitteilt, er wolle mit seinem Freund Rigo (Armando García) in die USA gehen. Dort habe er die Aussicht, von Rigos Onkel einen Job zu bekommen. Die ersten, etwas unscharfen Einstellungen zeigen Jesús aus dem Blick Magdalenas. Wie er durch ein Fenster zu ihr spricht, sich umdreht und sich wie in einem Nebel entfernt.
Nun gibt es aber zwei Hürden für die Menschen, die illegal in die Vereinigten Staaten übersiedeln wollen. Da sind die bekannten Grenzzäune und die amerikanischen Patrouillen, die alle diejenigen, die dennoch den Grenzübertritt geschafft haben, entweder zu Pferde über den Grenzfluss zurückzudrängen oder wieder einzusammeln versuchen, um sie zurückzuschicken. Und davor, bereits auf der mexikanischen Seite, marodierende Banden, die gnadenlos umbringen, was ihnen im Wege steht. Nicht ohne Grund nennt man Mexikos Grenzregion die Todeszone.
Magdalena hat mehrere Monate nichts von ihrem Sohn gehört, als die Leiche von Rigo auftaucht. Fortan quält sie die Ungewissheit, was mit Jesús geschehen sein könnte. Von den Behörden bedrängt, weigert sie sich standhaft, eine Leiche, die ihr gezeigt wird, als die ihres Sohnes zu identifizieren.
Sie ignoriert alle Warnungen und macht sich auf den Weg nach Norden, auf die Suche nach Spuren, die Jesús hinterlassen haben könnte. Mit dem Bus 670 sei er zuletzt unterwegs gewesen. Das ist der einzige Anhaltspunkt auf ihrer Reise in die Trostlosigkeit, in ein verwüstetes Land mit menschenleeren Dörfern, das einem Nachkriegsschauplatz gleicht. Magdalena trifft Menschen, die selbst um ihr Leben fürchten, die nichts sagen wollen, höchstens hinter vorgehaltener Hand mehr oder weniger nützliche Tipps geben. Mütter mit dem gleichen Schicksal wie sie, Menschen, die selbst ihre eigenen Verwandten verloren haben.
Und sie trifft den jungen Miguel (David Illescas), der gerade aus den USA ausgewiesen worden ist. Sein Gang durch die monumentale Grenzstation zurück nach Mexiko gehört zu den dokumentarischen Höhepunkten des Films und zu den wenigen Szenen ohne Magdalena. Miguel ist auf dem Weg zu seiner Mutter, die genauso unauffindbar ist wie Jesús. Der Gedanke drängt sich auf, dass beide zusammen eine neue Familie bilden könnten.
Doch der visuelle Stil des Films lässt kein gutes Ende erwarten. Claudia Becceril Bulos liefert, unermüdlich mit ihrer Handkamera Magdalena und Miguel folgend, dokumentarische Bilder, die unter die Haut gehen. Zu ihnen sind bisweilen albtraumhaft verfremdete Szenen eingefügt, die unterstreichen, wie ausweglos die Lage der Menschen in der Todeszone ist.
Durch die Beschränkung auf die persönliche Sicht der Protagonisten bleiben aber die Gründe für manche Aktionen im Dunkeln. Warum etwa wird bei einer Straßensperre von maskierten Männern der mit ein paar Passagieren besetzte Pritschenwagen angehalten und dann doch einfach durchgewinkt? Was sucht diese Bande, und warum töten andere Wegelagerer? Warum gibt es noch Busfahrer, wenn viele Busse an der Grenze einfach verschwinden. Warum gibt es überhaupt noch einen Busverkehr, der für Fahrer und Fahrgäste lebensgefährlich ist? Und warum versuchen die Behörden, die Mordserien zu vertuschen?
Vielleicht liegt dieser Mangel an Erklärungen daran, dass »Was geschah mit Bus 670?« mit einem komplett weiblichen Team gedreht worden ist, das politische Zusammenhänge beiseite gelassen hat. »Meine Intension war nicht, ›eine Frauengeschichte‹ zu erzählen«, sagt die Regisseurin in einem Statement. »Solange es aber noch kulturelle Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt, sind auch noch Unterschiede in der Ausrichtung der Handlung festzustellen.« Diese Unterschiede könnten der Grund für die Festivalerfolge des Films sein, der es an der Kinokasse schwer haben dürfte.
WAS GESCHAH MIT BUS 670?
(Sin Senas Particulares)
von Fernanda Valadez, MEX/E 2020, 97 Min.
mit Mercedes Hernández, David Illescas, Joan Jesús Varela
Drama / Start: 10.02.2022