»Wie kommt die Kunst ins Museum« – eine wunderbare Ausstellung im Museum Wiesbaden

Früher war alles ganz einfach. Da stellte sich ein Herzog, ein König, ein Kaiser, ein Papst in Positur und ließ sich von einem gut ausgebildeten Meister seiner Zunft abmalen, die Autorenschaft spielte dabei keine Rolle. Das Gemälde, die Skulptur hängte, stellte man im Schloss, in der Burg, im Palast, in der Kirche auf, und fertig.
Erst mit der Renaissance entwickelte sich eine Künstlerpersönlichkeit mit individueller Handschrift, ein Giotto, ein Michelangelo, ein Leonardo da Vinci. Obwohl auch sie noch Werkstätten unterhielten, in denen Gehilfen beim Ausmalen halfen. Erst mit dem Herausbilden des Bürgertums entstand so etwas wie öffentliche Kunst – und prestigeträchtige Maler. Einen Dürer, einen Rembrandt musste man sich leisten können. Gleichzeitig sind die Städte der Herrscher stets die mit den am üppigsten bestückten Museen: Dresden, München, Wien, Paris, Madrid, Petersburg. Klar, sie waren einfach die reichsten.
Und wie nun kommt die Kunst ins großbürgerliche Wiesbaden? Dem geht nun eine wunderbare Ausstellung im Museum Wiesbaden nach, das nicht einmal über einen nennenswerten Einkaufsetat verfügt, wie Kurator Roman Zieglgänsberger zugibt. Aber wie der Zufall und das Glück es so wollen, hat Alexej von Jawlensky (1864–1941) 20 Jahre bis zu seinem Tod in Wiesbaden gelebt, und er war nun mal der Mitbegründer der bedeutendsten Kunstrichtungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich alles zurechtrückte nach dem Ende des Kaiserreiches, des Weltkrieges, und sich künstlerisch in ganz neuen Begriffen definierte. Künstler*innen befanden sich auf der Sinnsuche wie vielleicht nie zuvor. Die Moderne wurde geboren, und sie manifestierte sich in Abkehr und Abwehr von gemalten Oberflächen: Expressionismus, Impressionismus, Fauvismus, Kubismus, Bauhaus.
Jawlenksy befand sich im Zentrum dieser Bewegungen. Mit Wassily Kandinsky, Franz Marc, Gabriele Münter und Marianne Werefkin gründete er die Künstlergemeinschaft »Der Blaue Reiter«, später zusammen mit Paul Klee, Kandinsky und Lyonel Feininger »Die Blaue Vier«. Wiesbaden lag in enger Nachbarschaft zu Hofheim, wo Hanna Bekker vom Rath lebte, malte und als Mäzenatin unschätzbare Beziehungen knüpfte. Und sie nun legt persönlich die nächste, in diesem Kontext wesentliche Spur: die der Schenkungen und Sammlungen.
Das Museum Wiesbaden hat nun von einem unbenannt bleiben wollenden großherzigen Spender einen wahren Schatz von über 100 Werken testamentarisch zugesichert bekommen, die sich auf glückliche Art und Weise in die Bestände einfügen, sie ergänzen und um zwei wesentliche Aspekte erweitern: um Skulpturen und um die Werke von Künstlerinnen, die stets im Schatten ihrer berühmter gewordenen männlichen Weggefährten standen. Hier nun endlich nicht: etwa die Hälfte der ausgestellten Arbeiten stammt von Frauen.
Diese Schau versinnlicht, welchen unschätzbaren Anteil die Sammlertätigkeit und das Mäzenatentum für die Kunst- und die Museumswelt haben. Sie setzt ihren Spendern selbst ein Denkmal: Ohne sie wäre die Klassische Moderne schlichtweg nie in diesem Maßstab aufgebaut worden; Wiesbaden verfügt beispielsweise über die weltweit größte Sammlung mit Werken von Jawlensky.
Und das fängt mit der sorgfältig gestalteten Rotunde an, in der sich die fünf wesentlichen Spender (inklusive des nicht genannt werden Wollenden) präsentieren: Kirchhoff, die Familie Rick, Brabant, Hanna Becker vom Rath jeweils mit einem ihrer heraustragenden Beiträge, auf expressionistisch gestimmtem starkfarbigem Wand-Hintergrund.
Rund 50 »neue« Werke verankern sich im Koordinatensystem der bereits bekannten Bestände, darunter 45 aus früheren Schenkungen und zehn aus dem eigenen Etat angekaufte. Doch sie frischen auch die Bezüge auf. Max Slevogt ist mit seiner »Pfälzischen Landschaft« vertreten, und die fünf Bilder von Paula Modernsohn-Becker als DER Wegbereiterin der Moderne, die junge Bauernkinder zeigen, können nun in diesem Brückenschlag zwischen den Zeiten punktgenau platziert werden.
In den folgenden Sälen entfaltet sich ein beziehungsreiches Spektakel zwischen den Vertreter*innen der Neuen Künstlervereinigung München und der Blauen Reiter mit Bildern von Marianne von Werefkin, Adolf Erbslöh, Alexander Kanoldt, der mit seinem »San Gimignano« den Kubismus vorwegzunehmen scheint. Jawlenksy immer wieder, und Elisabeth Epstein. Ein Teppich von der Hanna Bekker-Freundin Ida Kerkovius liegt unter Glas aus. Gabriele Münter zeigt ein wunderbares, proportional »schiefes« Blumenstilleben mit Sofa und (vermutlich selbstbesticktem) Kissen, einer Innenaufnahme ihres Hauses in Murnau. Die Berliner »Brücke« vertritt u.a. Max Pechstein. Das »Menschenbild der Neuen Sachlichkeit« – z.B. Ilona Singers sehr konzentriertes »Bildnis Francesco von Mendelssohn« und Georg Schrimpfs verträumte »Ausschauende – beendet die Erlebnis-Reise durch die Klassische Moderne, nicht ohne Lyonel Feininger und Ernst Barlach noch einen gebührenden Platz geboten zu haben. Letzter ist übrigens mit Skizzen vertreten, die er von Bäuerinnen während einer Russlandreise 1906 fertigte – ebenfalls eine Schenkung.

Susanne Asal / Foto: Lyonel Feininger, Karavellen, 1933 Privatsammlung,
© VG Bildkunst Bonn 2025
Bis 26. April 2026: Di., Mi., Fr., Sa., So., 10–17 Uhr, Do., 10–21 Uhr
www.museumwiesbaden.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert