You’ve come a long way, baby: Zur Neueröffnung des Jüdischen Museums am 21. Oktober 2020

Es ergreift einen schon, auch wenn man es schon dutzendfach gehört haben mag, dass der, der jetzt auf dem Podium sitzt, um das Programm vor der Eröffnung des Jüdischen Museums am 21. Oktober vorzustellen, zu den Schindler-Juden gehörte, bzw. nicht er, sondern seine Eltern, und das seine gesamte weitere Familie im Holocaust ermordet wurde, und dass er jetzt hier sitzt, um in Frankfurt das neue Jüdische Museum zu propagieren, so wie er schon 1988 das erste Frankfurter Jüdische Museum propagiert hat, das erste in Deutschland überhaupt, gemeinsam mit Walter Wallmann, Ignatz Bubis, Helmut Kohl. Und Punkt.
Michel Friedman ist zweifellos der Star hier auf dem Podium, einfach weil er einer ist. Die Frankfurter Stadtgesellschaft, und überhaupt die Gesellschaft, kann sich darauf freuen, dass er unter dem Schirm des Jüdischen Museums wieder einmal zu Gesprächsabenden lädt, zu seinen unerbittlichen, möchte man sagen, zu seinen scharfen, kantigen Diskussionen, an deren Ende bitte nicht die Harmonie stehen möge, sondern die gehabte Auseinandersetzung, die Reibung unterschiedlicher Standpunkte aneinander, aber argumentativ müsste sie schon geführt werden, Dummheit duldet er nicht, das ist schon mal klar. Das war auch in seinen stets ausverkauften Abenden im Frankfurter Kammerspiel schon so. Die zunächst vereinbarten Termine sind der 9.11. mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht zum Thema »Hass« und am 26.1.2021 mit der Philosophin Susan Neiman zu »Das Böse«.
»Denken ohne Geländer« nennt sich die Gesprächsreihe, in Anklang an Hannah Arendt, aber sie heißt auch so, weil man ohne Geländer abstürzen kann und weil man die Balance suchen muss.
Ja es ergreift einen zu hören, jetzt, hier, im September 2020, dass man 1988 in einer Zeit des Wegschauens, des Verdrängens lebte, als das erste Jüdische Museum seine Pforten öffnete, und heute noch viel mehr. »Eine Wunde wie noch nie«, habe sich da aufgetan. Warum nennt man die Corona-Leugner, die Pegida, die AfD-Wähler, warum nennt man sie Protestwähler? Gegen was protestieren sie? Im Schutzmäntelchen der Meinungsfreiheit protestieren sie eigentlich – gegen Meinungsfreiheit, für Intoleranz gegenüber Andersdenkenden.
Und so gerät die Vorstellung des Vorprogramms zur Eröffnung zu einem Fanal. Friedman resümiert: Der Zustand der Gesellschaft ist schlechter, aggressiver, enthemmter geworden, die europäischen Länder, das sind alles auch wir, wir sind die Schwulen, die Juden, alle, die in Gefahr sind. Wir sind die Ungarn, die Polen. Und deswegen so ein großes jüdisches Museum, so ein großes Gehäuse, um ein Zeichen zu setzen, auch dafür, dass es Frankfurt ohne seine jüdische Bevölkerung nicht gäbe so wie wir es kennen. Eine Bühne für alles Ausgegrenzte, so könnte man weiter denken, so sollte man weiter denken, die größte, die zu haben war. Der lichtdurchflutete großartige Bau des Architektenteams Staab mit der programmatischen Adresse Bertha-Pappenheim-Platz 1 und 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wird diese Bühne liefern.
Die Kulturdezernentin Ina Hartwig kämpft noch einmal für ihre Version von der Kulturmeile mit dem Neubau der Städtischen Bühnen in den Wallanlagen, und am Beginn und am Ende dieser Kulturmeile steht das Jüdische Museum. Nicht nur symbolisch, sondern leibhaftig. Das ist freilich eine große Aussage.
Man wünschte es diesem Haus so sehr, dass es unter seiner so engagierten Direktorin Mirjam Wenzel zum Mittelpunkt der Frankfurter Streit- und Diskussionskultur würde, mit seiner 25.000 Medien umfassenden Bibliothek, mit seinem neuen Café, in Erinnerung und im Fortleben an die Frankfurter Schule, die ja auch eine jüdische war, das wäre wirklich ein großer Wurf.
Auch das Thema der tatsächlichen Neueröffnung ist es: »Die weibliche Seite Gottes«. Wir dürfen uns freuen.

Susanne Asal (Foto: © Miguletz)

www.juedischesmuseum.de

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