Es ist eine unglaublich leidenschaftliche Leistung: Mehr als 14 Jahre akribischer Recherche liegen hinter der Kuratorin Eva Atlan, hinter Annika Friedmann und Dennis Eiler, um uns Amalie Seckbach, Rosy Lilienfeld, Erna Pinner, Ruth Cahn präsentieren zu können, deren Erbe und auch Existenz das Nazi-Regime ausgelöscht hat. Amalie Seckbach und Rosy Lilienfeld wurden in Theresienstadt und Auschwitz ermordet, Erna Pinner und Ruth Cahn konnten sich ins Exil retten. Ihre Werke, ihr Stellenwert in der Kunstgeschichte, ihre Identität – verschwiegen, verleugnet, fand nicht statt. Hier folgt nun: nichts weniger als die Wiederauferstehung.
Das Jüdische Museum hat ihre Biografien aus der Verleugnung geborgen, hat die kleinsten und verstreutesten Puzzlesteinchen zusammengesetzt zu einem nun leuchtenden Bild. Kaum zu glauben: Diese Malerinnen und Bildhauerinnen waren berühmt in den 1920er Jahren, waren gesellschaftliche Größen, zählten zur Städel-Szene um Ugi Battenberg und Max Beckmann. Erna Pinner wurde von Carry und Nini Hess (die das Museum Giersch vor Jahresfrist so wunderbar wieder entdeckt hat) fotografiert. Sie waren die »Neuen Frauen«. Ihre Kunstwerke wurden so geschätzt, dass sie in Paris, Barcelona und New York Einzelausstellungen bestritten. Museumsdirektorin Mirjam Wenzel betont, wie frei alle vier lebten, ihre eigenen Ateliers zum Treffpunkt für Kunst und -Kulturschaffende machten; es war die erste Generation, der das möglich war.
Mit der eigens geschaffenen Ausstellungsarchitektur gibt ihnen das Jüdische Museum ihre Ateliers nun zurück, basierend auf einer Reportage von Sascha Schwabacher, die 1935 im »Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt« erschienen war. Persönliche Zeugnisse wie Fotos, Briefwechsel und Sammlungsobjekte – sofern sie überhaupt aufgefunden werden konnten – werden mit den Werken gemeinsam präsentiert und zeichnen ein intimes Bild der Künstlerinnen, die sich vermutlich – aber nicht einmal das lässt sich rekonstruieren – gekannt haben müssen.
Die äußere Hülle, die sich um die Kabinett-Ateliers legt, zeigt zunächst die Verortung in Frankfurt: Rosy Lilienfeld malt u.a. das Mainufer und den Bethmannpark, Ruth Cahn den Palmengarten und den Sportplatz von Eintracht Frankfurt (ihr Bruder Arthur war einer der Gründer, mit ihm wird sie 1936 nach Santiago de Chile fliehen). Auf einem Stadtplan sind Ateliers, Wohnorte und Treffpunkte verzeichnet.
Und dann stehen wir schon mittendrin: Das berührendste, das dunkelste und verstörendste, aber vielleicht auch das zärtlichste Zeugnis ist das der Expressionistin Rosy Lilienfeld (1896–1942 Auschwitz) weil darin auch ein persönlicher Kampf sichtbar wird – ihr Kampf gegen die inneren Dämonen, die sie mit ihren dunkel grundierten Zeichnungen und Buchillustrationen zu bannen versucht, aber auch ihre starke Verbindung zum jüdischen Glauben. Frauen war es eigentlich nicht gestattet, religiöse Kontexte künstlerisch darzustellen – sie illustrierte ein vom chassidischen Glauben inspiriertes Werk Martin Bubers, den »Baalschem«, das in einer Faksimileausgabe, in Wiener Verlag Löwit 1935 erschienen, zu den Ausstellungsobjekten gehört. Von der Künstlerin, die so symbolistisch, traumbehaftet in Tusche, Bleistift und Kohle arbeiten konnte, ist kein einziges Foto erhalten, aber eine Reihe von Porträts, von denen die Kuratorin annimmt, es könne sich um Selbstporträts handeln.
Ruth Cahn (1875–1966) bringt dagegen die prachtvollsten Farben in diesen Ausstellungsrundgang. Ihre »Frau im lila Kleid« aus dem Jahr 1924 ist derzeit auf Frankfurter Plakatwänden allgegenwärtig, ein expressionistisches Porträt der selbstbewussten neuen Frau im schulterfreien Abendkleid, mit kurzgeschnittenen Locken, prüfendem Blick aus bemalten Augenlidern, skeptisch, schön und stark. Im Pariser Montparnasse in den 1920er Jahren befand sie sich an der Schnittstelle sämtlicher wichtiger Kunstströmungen der Epoche, vervollkommnete ihre Studien. Sie kannte Pablo Picasso, Marc Chagall und Henri Matisse, erhielt in den Galeries Dalmau in Barcelona, die als Entdecker späterer Berühmtheiten wie z.B. Salvador Dalí galten, eine Einzelausstellung. Ihre vielversprechende künstlerische Karriere endete abrupt mit ihrer Flucht nach Santiago de Chile im Jahr 1934 – sie sollte nie mehr zur Staffelei zurückkehren.
Amalie Seckbach (1870–1944 Theresienstadt), die Gattin des Frankfurter Architekten Max Seckbach, eine Frau, die nicht einmal im KZ Theresienstadt aufhörte zu malen, die Einwickelpapiere aufhob, glättete und als Malpapier benutzte, beschrieb Sascha Schwalbacher als Matrone, in der das Feuer der Neugier loderte. Was für eine Persönlichkeit! Bekannt wurde sie zunächst als Sammlerin asiatischer Kunst, wovon auch einiges in »ihrem« Atelier zu sehen ist, und begann 1922 ihre steile Karriere als Malerin und Bildhauerin. James Ensor galt als ihr Mentor, dessen bis in die USA geknüpftes Netzwerk sie freudig aufnahm. Fluchtpläne dachte sie mit ihren Werken zu finanzieren, doch dazu kam es nicht mehr. Amalie Seckbach war 70 Jahre alt, als sie in einem der letzten so genannten »Alterstransporte« nach Theresienstadt gebracht wurde. Dass ihre Werke überhaupt erhalten sind, verdankt sie einer Krankenschwester im KZ, der sie anvertraute, wo sie sie versteckt hielt. Sie malte Blumen, sie malte Porträts, sie malte sich selbst – gegen das Entsetzen.
Die bekannteste der vier Künstlerinnen hatte das Glück zu überleben und weiter produktiv zu sein. Erna Pinner (1890–1987) liebte das Reisen, zahlreiche Fotos zeigen sie in Ägypten, in den Anden. Sie studierte am Städel, später bei Lovis Corinth in Berlin. Ihre wahre Passion konnte sie in der Fremde am besten ausleben; ihr Lieblingssujet waren Tiere, die sie stets in Bewegung und seelenhaft porträtierte. Mit Bleistift und Tusche fertigt sie zarte, wie hingehuschte Aquarelle und Zeichnungen von Afrikanerinnen und Bolivianerinnen. Die begonnene Karriere konnte sie in London bescheiden fortsetzen, publizierte für den Londoner Zoo, illustrierte Kinderbücher. Ihr auffälligstes Werk: der Farbholzschnitt »Köpfe von vier Kronenkranichen«, die arrangiert sind wie ein kostbar-exotischer Blumenstrauß.
Die Frankfurter Künstlerin Elianna Renner hat zu Amalie Seckbach und Ruth Cahn eine ganz wunderbare Installation geschaffen. Müßig zu denken, was aus ihnen hätte werden können – diese so kostbare Ausstellung, soviel sei verraten, ist ein Projekt, das weitergeführt werden wird.
Susanne Asal / Foto: Ruth Cahn: Frau im lila Kleid
© Privatsammlung M. Kopp
Bis 17. April: Di.–So., 10–17 Uhr,
www.juedischesmuseum.de