»Parallele Mütter« von Pedro Almodóvar

Sie lernen sich auf der Entbindungsstation kennen und bringen ihre Kinder zu gleichen Zeit zur Welt: Die Fotografin Janis (Penélope Cruz) ist mit Anfang vierzig versehentlich vom verheirateten Arturo (Israel Elejalde) schwanger geworden. Janis ist fest entschlossen, ihre Tochter allein großzuziehen. Die 17-jährige Ana (Milena Smit) hingegen ist todunglücklich über ihre unfreiwillige Schwangerschaft und weint sich bei der Geburt die Augen aus.

Nach der Geburt tauschen die beiden Frauen ihre Telefonnummern aus und bleiben in losem Kontakt. Anas Mutter Teresa (Aitana Sánchez Gijón) ist keine große Hilfe und hat nur ihre erblühende Karriere als Schauspielerin im Kopf. Janis richtet sich mit einem unzuverlässigen Aupair und einer Tagesmutter in ihrem Alltag als Alleinerziehende ein und muss beruflich zurückschrauben. Statt Cover-Fotos von Models und Prominenten macht sie nun Werbeaufnahmen von Schuhen und Handtaschen. Als Arturo sie und das Kind besucht, kommt es zum Streit.
Nachdem der ehemalige Geliebte das Baby gesehen hat, ist er fest davon überzeugt, dass das Kind nicht von ihm sein kann. Auch wenn Janis genau weiß, dass kein anderer Mann als Vater infrage kommt, wird auch sie unsicher, weil die ethnisch andersartigen Gesichtszüge des Töchterchens immer deutlicher werden. In einem Café trifft sie auf Ana, deren Mutterschaft einen tragischen Verlauf genommen hat, und nimmt sie bei sich auf.
Nach seinem selbstreflexiven, semibiografischen Film »Leid und Herrlichkeit« (2019) kehrt Pedro Almodóvar mit »Parallele Mütter« in die matriarchalen Lebenswelten zurück, um die sich von »Frauen am Randes des Nervenzusammenbruchs« (1988) über »Alles über meine Mutter« (1999) bis zu »Volver« (2006) ein Großteil seines Werkes drehte.
Mit höchst melodramatischen Plotwendungen, die stets dezent am Rande einer Telenovela entlangsegeln, verknüpft Almodóvar die beiden Frauenschicksale um ungeklärte Vater- und Mutterschaftsverhältnisse, in denen die beiden Protagonistinnen immer wieder über sich hinauswachsen und zu einer empathischen Konfliktbewältigung finden.
»Parallele Mütter« ist durchdrungen von einem spezifisch weiblichen Humanismus. Mit der menschlichen Wärme, die sich in diesem Film entfaltet, könnte man ganze Großstädte klimaneutral beheizen. Penélope Cruz ist einfach fantastisch – als Mutter in großen Gewissenskonflikten macht sie die Seele ihrer Figur auf berührende Weise transparent und angreifbar und entwickelt gerade daraus deren Stärke. Auf fast schon magische Weise bildet die junge Milena Smit hierzu das ergänzende Gegenstück, ohne sich im Schatten ihres Gegenübers verstecken zu müssen.
Von erlesener Schönheit und Farblichkeit ist – wie so oft bei Almo-dóvar – die stilvolle Ausstattung, die nie von den Figuren ablenkt, sondern ihre Wesensart ästhetisch umschmeichelt. Aber nicht nur um zwei Mütter aus verschiedenen Generationen geht es hier, sondern auch um die dunkle Geschichte Spaniens. In dem Dorf, in dem Janis aufgewachsen ist, wurden zusammen mit ihrem Urgroßvater neun Männer während des spanischen Bürgerkrieges von Francos Falangisten ermordet und in einem Massengrab verscharrt. Mit dem forensischen Anthropologen Arturo und den Dorfbewohnern bemüht sich Janis nun um die Exhumierung des Massengrabes, wie es heute in Spanien als späte Aufarbeitung der Geschichte an zahlreichen Orten geschieht. Vollkommen unangestrengt verbindet Almodóvar die beiden Erzählstränge miteinander zu einer tief berührenden Geschichte um die Wirkungskräfte zwischen Vergangenheit und Zukunft und die befreiende Energie, die in der Aufdeckung dunkler Geheimnisse liegt.

Martin Schwickert (Foto: © El Deseo/Studiocanal)

PARALLELE MÜTTER (Madres paralelas)
von Pedro Almodóvar, E/F 2021, 120 Min.
mit Penélope Cruz, Milena Smit, Rossy de Palma, Israel Elejalde, Aitana Sánchez Gijón, Julieta Serrano
Drama / Start: 10.03.2022

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