»Der diskrete Charme der Bourgeoisie« im Schauspiel Frankfurt

Ein Brummkreisel von Inszenierung. Ein Containerhaus auf Stelzen, das sich permanent dreht, aufgeföhnte Abba-Locken, die sich permanent drehen, Gesichter, die sich drehen, Worte, die sich drehen, verdrehte Worte, blitzschnell herausgeschleudert, permanent wiederholt. Tofuwürstchen, E-Bikes, Quínoa, Achtsamkeit, enjoy, I like, nachhaltig, unverpackt, classy, reduziert, fermentiert, ein schlichtes Snowboard, mehr brauch ich nicht, Natururlaub, Hildegard von Bingen, Calzone. Menschen, die in Kreiseln laufen. Hinauf, hinab, hinten herum und vorne herum. Man weiß nie so genau, wo sie gerade sind.
Ach du meine Güte, die Regisseurin Claudia Bauer hat sich da an Luis Buñuel gewagt, an seinen mit einem Oscar ausgezeichneten Spielfilm aus dem Jahr 1973 (nicht, dass Oscars immer so ein Seismograf sind, aber etwas, was jeder gerne hätte, sind sie schon …) und sie macht da so eine Klamauk- Nummer draus. In ihrem Einführungs-Podcast ist überdies zu hören, dass wir alle mit diesem bescheuerten Redefluss der Protagonisten gemeint sind, dass wir uns in den Rollen wiedererkennen sollen; den erhobenen Zeigefinger habe ich mir dazu gedacht und auch: wie langweilig. Das ausgerechnet an einem wie Buñuel zu exerzieren kann nur fürchterlich ausgehen.
Aber das war nur der Beginn. Und dann liegt da der erste Tote. Und das ganze blöde Blablabla bekommt plötzlich einen Rahmen, bekommt einen Boden, und dieses ganze blöde chorische Sprechen, welches das Schauspielensemble übrigens vorzüglich meistert, bekommt einen Sinn. Diese stetige Anstrengung, nicht zur Masse zu gehören, weil man ja so besonders, so hedonistisch, so enjoy-mäßig drauf ist, die tollsten teuersten E-Bikes besitzt ganz im Einklang mit den Forderungen des Klimawandels, und doch nichts anderes ist als eine spießige Menge eher schlichten Gemüts, das versteht dieses Ensemble hervorragend zu bebildern, hysterisch, angeberisch, narzisstisch bis zur Verweigerung der Wirklichkeit.
Claudia Bauer hat sich auf die riskante Jonglage eingelassen, die Inhalte des Films in einen aktuellen gesellschaftlichen Zusammenhang zu überführen, und es ist eine messerscharfe, rhythmische Inszenierung geworden, eine, die einem mitunter den Atem stocken lässt. Hier ist nichts leicht und spielerisch, hier ist alles zerdehnte Gruppenarbeit. Buñuel meint die in sich selbst ruhende französische Bourgeoisie, Claudia Bauer sieht da eher eine grunddeutsche FDP-Grünen-Mischlage, die sich zum gemeinsamen Kochen trifft, und es braucht nur die allerkleinste Irritation im Selbstbild der sich permanent selbstvergewissernden Hedonistengemeinde auf Crémant-Speed, und die Fiktion, die man sich aus seinem Leben destilliert hat, zersplittert in tausend Bruchteile. Das kann an einer einzigen Gurke liegen … Nix da mit Klassenzugehörigkeit. Bedroht wird diese instabile Kontur durch eine Schar von Kinderreporterinnen in Fettanzügen und Puppenköpfen, und unserer famosen Schaupieler*innentruppe, die da sind: Anna Kubin, Katharina Linder, Lotte Schubert, Sebastian Kuschmann, Fridiolin Sandmeyer, Mark Tumba, Philipp Alexej Voigtländer und Andreas Vögler, fällt nichts anderes dazu ein als: »Wir brauchen die Unterprivilegierten nicht für unsere Überprivilegierung, wir brauchen die Armut nicht für unseren Reichtum, wir brauchen niemanden, der untergeht«… Und dann steht sie da, die Truppe, öffnet die vierte Wand zum Publikum, was wiederum sehr witzig inszeniert ist, und die Souffleuse Christine Schneider bekommt auch noch ihren sehenswerten Part.
Ja so ist sie die Welt. Die Live-Kameras und die Videos, so oft eingesetzt im Theater und so oft weiß man nicht, wie sich das bitteschön aus dem Stück heraus erklären soll, hier sitzt es. Dieses Innen und Außen, dieses Draufschauen, dieses Peinliche. Claudia Bauer macht aus Buñuel eine pointierte, bitter-schrille Farce, und das ist wirklich nicht das Schlechteste, das ihm passieren konnte.

Susanne Asal (Foto: © Birgit Hupfeld)

Termine: 8., 9., 26., 22., 23.4., 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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