Die gute Nachricht zuerst: Das Festival des mittel- und osteuropäischen Films findet in diesem Jahr wieder live und analog in der Caligari Filmbühne und im Murnau-Kino statt – sofern Wiesbaden nicht zum Covid-Hotspot wird (man weiß ja nie). Das Organisations-Team unter der künstlerischen Leiterin Heleen Gerritsen lässt sich also weder von Viren noch von der russischen Ukraine-Invasion irritieren.
Womit wir bei der schlechten Nachricht wären, der seit langem schlechtesten Nachricht. Denn sie trifft diese Veranstaltung mitten ins Herz. Das Filmfest versteht sich ja als Treffpunkt der Filmemacher aus Mittel- und Osteuropa, als ein Ort der Verständigung und des gegenseitigen Verstehens. Das galt in den Anfängen erste einmal unserem, in der Regel sehr lückenhaften Kenntnissen der osteuropäischen Befindlichkeiten, wurde im Lauf der Jahre aber immer mehr für die aus den verschiedenen Ländern kommenden Filmemacherinnen und Filmemachern wichtig.
Angesichts des Krieges in der Ukraine, der in Russland nicht so genannt werden darf, hat goEast die Zusammenarbeit mit staatlichen und staatsnahen russischen Filmeinrichtungen und Verleihen ausgesetzt. Man arbeitet bis auf weiteres nicht mit offiziellen russischen Delegationen zusammen.
Zudem wendet sich das Festival »klar gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und widmet einige Programmpunkte ukrainischen Filmschaffenden. … Es ist schmerzhaft, aber Nationalismus, militärische Aggression und Imperialismus sind ein Teil der Geschichte der Region, mit der auch das Festival sich immer wieder auseinandersetzen muss.«
Filme von unabhängigen, regimekritischen Filmemacherinnen und -machern aus Russland sollen weiterhin gezeigt werden. Daneben wäre es aber auch interessant, in einer Veranstaltung die »Nachrichten« aus dem russischen Fernsehen mit deutscher Übersetzung zu zeigen, damit wir einen Eindruck von der Propaganda im Land bekommen. Und nicht nur in Russland, auch die russischstämmige Bevölkerung zum Beispiel in den baltischen Staaten schaut russisches Fernsehen.
goEast beschränkt sich nicht nur auf Filmprogramme, sondern legt auch mit einer besonderen Auswahl an Virtual Reality Projekten einen Fokus auf die Ukraine: fünf VR-Projekte, die von 2018 bis 2021 beim Open Frame Award liefen. Bereits seit 2018 sind in einem Wettbewerb für Virtual Reality abgeschlossene VR-Projekte in Wiesbaden und Frankfurt zu sehen. Nun stellt sich das Festival einer neuen Herausforderung – mit einem Programm und dazugehörigen Wettbewerb, ausschließlich für im Entstehen begriffene VR- und XR-Arbeiten (Work-in-Progress) und kollaborative Projekte.
Ein neues Rahmenprogramm soll die Verknüpfung von Film und audiovisuellen Kunstformen mit allen Lebensbereichen und besonders mit dem öffentlichen Raum betonen. Unter dem Titel »Cinema Archipelago« erkunden verschiedene Kuratoren die gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der audiovisuellen Ausdrucksformen. Unterstützt wird Cinema Archipelago vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der goEast seit vielen Jahren fördert.
Die Hommage ist der 93-jährigen Lana Gogoberidze, die in sechs Jahrzehnten 13 Filme machte und in der UdSSR eine der wenigen Regisseurinnen war, die sich nicht gegen das westliche Etikett des Feminismus wehrten. Die Tochter der Kino-Pionierin Nutsa Gogoberidze und Mutter der Filmschaffenden Salomé Alexi, ist die bedeutendste georgische Filmemacherin und in ihrer Generation eine der wichtigsten Regisseurinnen weltweit. Sie drehte seit den 1960er-Jahren international preisgekrönte Filme wie »Einige Interviews zu persönlichen Fragen« (Ramdenime interviu pirad sakitkhebze, UdSSR 1978) oder »Der Waltzer auf der Petschora« (Valsi pechoraze, Georgien 1992). In Kooperation mit der Kinothek Asta Nielsen und dem Georgian National Film Center ist die zehn Filme umfassende Werkschau die weltweit erste Retrospektive ihres Schaffens. Lana Gogoberidze wird gemeinsam mit ihrer Tochter Salomé Alexi im April persönlich anwesend sein und in einem Werkstattgespräch über ihre Arbeit zu sprechen.
Eröffnet wird das Festival mit der polnischen Produktion »Der Balkonfilm« (Film balkonowy) von Pawel Lozinski, der auf seinem Balkon, mit Kamera und Mikrofon ausgestattet, auf Passanten wartet und so eine bunte Sammlung von Mitspielern für seinen Film erhält.
Claus Wecker
(Foto: »Ukrainian-Summer-Camp: Learning to Fight«)