Schauspiel Frankfurt: Andreas Kriegenburg inszeniert Kleists »Amphitryon«

Beschädigte Charaktere

Ich – ein Anderer: Eine existentielle Bedrohung schwingt mit in dem, was auch einfach eine Verwechslungskomödie sein könnte. Zwei gestandene Männer (der Feldherr Amphitryon und sein Diener Sosias) müssen machtlos erleben, wie zwei andere (die Götter Jupiter und Merkur) sich nicht nur ihrer Gestalt bemächtigen, sondern auch ihrer Frauen (Alkmene und Charis). Selbst wenn Heinrich von Kleist seinen »Amphitryon« bescheiden als ein »Lustspiel nach Molière“ bezeichnet, überstehen insbesondere seine männliche Figuren die Turbulenzen um ihre Identität nur beschädigt. So vorgeführt werden sie jedenfalls in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg am Schauspiel Frankfurt.
Metro(politan) statt retro(spektiv): Mit ohrenbetäubendem Straßenlärm schickt der Regisseur uns in eine zeitlose Moderne mit tunnelartig übereinander liegenden Röhren, die inklusive Laufbändern quer über den Bühnenraum verlaufen und an U-Bahnschächte denken lassen. Die obere scheint wärmer, ist mal mit Couch und Stehlampe, später gar einer Badewanne ausgestattet, die untere kommt eher betongrau kalt daher und bleibt sparsam möbliert (Bühne: Harald B. Thor).
Zunächst überwiegt das komische Element, wenn Christoph Pütthof (durchweg großartig!) alias Sosias, auf dem Weg zu Alkmene, um die Ankunft des Gatten anzukündigen, auf sein übellauniges Double Merkur (Sebastian Reiß) trifft. Das geht nicht gut aus für den kleinen Angestellten in braunem Anzug und mit Aktentasche. Amphitryon (Max Simonischek) eilt mit Rollkoffer, Dreiteiler und Krawatte – vom (Finanz?) Krieg kommend – nach Hause, wo ihm Florian Sandmeyers »Yupi« (Kalaueralarm!) zuvorgekommen ist und sich den Schlips gerade zum Gehen umbindet. Verständlich, dass der Gehörnte seine erstaunte Frau nicht versteht, wie auch sie sein Verhalten nicht begreifen kann.
Die Frauen betrifft die Identitätskrise weniger, sie zweifeln auch an der Identität ihrer Männer nicht, sehr zum Ärger Jupiters, der auch um seiner Göttlichkeit geliebt werden will – und nicht, weil Alkmene (glaub- und liebenswürdig: Patrycia Ziolkowska) immer nur den Gatten in ihm sieht. Auch Charis lässt sich von Merkur nicht das freche Maul verbieten (wunderbar flapsig: Friederike Ott) und hätte nichts gegen einen Apollon im Tausch gegen den tumben Sosias.
Körperlich hart und gnadenlos wird die Auseinandersetzung zwischen Göttern und Männern geführt. Biegsam und geschmeidig überzeugen die teils stark stilisierten Beziehungsgeflechte. Eine kleine Tanzpantomime fasst alles Geschehen vor der Pause noch einmal zusammen, sodass sich Kraft schöpfen lässt für die Enthüllung des »Wer – bist – du« im letzten Akt und das berühmte, hier eher nach »Ach so« klingende Schlusswort im traurigen letzten Bild.
Die Schauspielerinnen und Schauspieler sprechen Kleists wahrlich nicht leicht konstruierte Blankverse so wunderbar kunstvoll, melodisch und (mikroportverstärkt) verständlich, dass es eine Lust ist, ihnen zuzuhören. Und das will was heißen! Chapeau!

Katrin Swoboda (Foto: © Birgit Hupfeld)
Termine: 6., 11., 12., 18., 19. April, 19.30 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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