70. Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Das Filmfestival, das zusammen mit der Berlinale das älteste Filmfest in Deutschland ist, schaut auf seine Vergangenheit zurück. 1952 wurde es in Mannheim als »Kultur- und Dokumentarfilmwoche« Jahren gegründet. Damals war es ein kultureller Neustart. Heute, wenn ein Wahlslogan »Nie gab es mehr zu tun« heißt, als hätte es die Nachkriegszeit nicht gegeben, lohnt es sich, auf vergangene Jahre zurückzublicken, in denen es eine Menge zu tun gab und auch einiges geschah.
So lautet das Motto der Retrospektive dieser Jubiläumsausgabe »Umbrüche und Wendepunkte – Wiederentdeckungen aus 70 Jahren Film«. Es sollen Filme aus vergangenen Programmen gezeigt werden, die seismografisch gesellschaftliche und/oder künstlerische Umbrüche ankündigen oder begleiten.
Kurator Hannes Brühwiler und Festivaldirektor Sascha Keilholz haben 12 Langfilme und zwei Kurzfilmprogramme zusammengestellt, die eben auch einen Überblick über die Geschichte des Filmfestivals geben. Mannheim entwickelte sich nämlich zu einem wichtigen Ort, an dem es Entdeckungen zu machen gab. Auch zu einer Zeit, als andere Festivals lieber bewährte und bekannte Regisseure ihre neuen Werke vorstellen ließen. Heute darf sich Mannheim-Heidelberg als bedeutendes Newcomer-Festival ansehen, das sich auf Erst- und Zweitfilme spezialisiert hat.
Nach welchen Kriterien wurden die Filme der Retrospektive ausgewählt? Der Kurator sagt dazu: »Unser Fokus war nicht der eines repräsentativen Querschnitts, sondern vielmehr stand auch hier der Gestus des Entdeckens und Wiederentdeckens im Zentrum: ein aktueller Blick auf die Bandbreite des auf dem IFFMH versammelten internationalen Kinos.«
Einen Schwerpunkt bilden natürlich die europäischen und amerikanischen Neuen Wellen, insbesondere deren Anfänge. Hier überwiegen die deutschen Beiträge, denn nach der Ausrufung des Jungen Deutschen Films im Oberhausener Manifest erwies sich das Festival als wichtiges Forum für die Werke der gegen das Establishment rebellierenden Filmemacher und Filmemacherinnen. Zwei ihrer prominentesten Vertreter waren Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, deren »Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter« (1969) zu sehen sein wird. Wim Wenders ist mit »Same Player Shoots Again« (1968) vertreten und Adolf Winkelmann, der Außenseiter unter den Außenseitern, mit »Adolf Winkelmann, Kassel 9.12.1967, 11.54h« (1968). Edgar Reitz erzählte in »Mahlzeiten« (1966/67) von der Beziehung eines Mannes zu einer Frau, die ein Kind nach dem anderen zur Welt bringt, wobei die anstrengende Betreuung des Nachwuchses völlig unter den Tisch fällt. Einen »Frauenfilm« nannte man damals Ula Stöckls noch heute sehenswertes Werk »Neun Leben hat die Katze« (1968).
Haskell Wexlers »Medium Cool« (USA 1969) zeigt Ausschreitungen beim Parteitag der Demokratischen Partei, und Gérard Blain widmete sich schon früh als Regisseur den Problemen, die junge Menschen mit sich selbst und ihrer Umwelt haben. Sein »Un enfant dans la foule« (A Child in the Crowd, F 1976), der nie von einem deutschen Verleih in die hiesigen Kinos gebracht wurde, kann jetzt auf der großen Leinwand besichtigt werden.
Das Festival wird in diesem Jahr zum ersten Mal den Grand IFFMH Award verleihen. Mit Oscar-Gewinnerin Andrea Arnold (»Fish Tank«), die gerade auch in Gent geehrt wurde, und Guillaume Nicloux (»Thalasso«) sind zwei würdige Preisträger gefunden worden. Geehrt werden außerdem die Produzentin Bettina Brokemper, die Chefin von Heimatfilm, und der Regie-Altmeister Claude Lelouch (»Ein Mann und eine Frau«). Filme der Honorierten werden selbstverständlich auch zu sehen sein.

Claus Wecker (Foto: Andrea Arnold, © IFFMH)

www.iffmh.de

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