»Alles außer gewöhnlich« von Oliver Nakache und Éric Toledano

Die Frage stellt sich jeder Kinogänger und natürlich auch jede Kinogängerin: Was möchte ich sehen? Die Frage könnte auch lauten: Will ich einen Film sehen, der mich packt, weil er mein Mitgefühl weckt und dabei nicht im Kitsch versinkt? Einen Film mit einem realistischen Blick auf die Welt, der nichts beschönigt und doch zur Hoffnung ermuntert. Solch ein Film ist »Alles außer gewöhnlich«.

Die Regisseure Éric Toledano & Oliver Nakache setzen darin zwei Männern ein Denkmal, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, sich um autistische Kindern und Jugendliche zu kümmern und ihnen ein menschenwürdiges Zuhause zu bieten, wenn keiner sie haben will. Vincent Cassel und Reda Kateb spielen die beiden, und sie spielen sie so, als hätten sie ihr ganzes erwachsenes Leben nichts anderes gemacht, als entlaufene Jungen zu suchen, diese zu besänftigen, wenn sie aggressiv werden, oder Fürsorgebeamte von der Notwendigkeit ihrer Arbeit zu überzeugen.
Denn allzu schnell landen die schwereren Fälle, für die sich keine Betreuer finden, hinter Schloss und Riegel. Die Organisation »Le Silence Des Justes« will ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen. Die Parallele zur Bezeichnung für diejenigen, die Juden vor der Ermordung gerettet haben, ist nicht zufällig, hielten die Nazis doch behinderte Menschen für »lebensunwert«.
Bruno und Malik, wie die von Vincent Cassel und Reda Kateb dargestellten Sozialarbeiter im Film heißen, kümmern sich um leichtere Fälle, wie den zutraulichen jungen Mann, der bei seiner Mutter wohnt und dem Bruno zu einem Job verhilft. Weil er so gerne die Notbremse in der Metro zieht, befreit Bruno ihn wiederholt aus den Fängen der Polizei. Für die schwereren Fälle, die keiner haben will, leiten beide eine Wohngruppe, die nicht einfach im Zaum zu halten ist.
Da muss hin und wieder ein Nachbar, der sich über den Lärm beschwert, beruhigt werden. Und wenn sich die Zwischenfälle häufen, tauchen die Abgesandten der Behörden auf und drohen, die Wohnung dichtzumachen und die Betreuten in ein Heim einzuweisen. Wenn Bruno seine Arbeit vor ihnen verteidigt, wird deutlich, dass nicht nur die Betreuten von den Betreuern abhängig sind, sondern Bruno und Malik auch von ihren Schützlingen, dass dieses Für-andere-Dasein, im täglichen Stress auf so etwas wie ein Privatleben zu verzichten, ihr Lebensinhalt geworden ist. Und obendrein noch, dass das Gesundheits- und Sozialsystem auf Idealisten wie Bruno und Malik angewiesen ist, wenn es sich ein menschliches Image bewahren will.
Besonders in dieser Beziehung ähnelt der Film der kürzlich in unseren Kinos angelaufenen französischen Komödie »Der Glanz der Unsichtbaren«, in der es um die Betreuung von Obdachlosen geht. Beide Filme arbeiten mit professionellen Schauspielern neben Laiendarstellern, die sich mehr oder weniger selbst spielen. Beide Filme besitzen nicht nur deshalb, sondern auch durch ihren visuellen Stil einen dokumentarischen Touch.
Doch »Alles außer gewöhnlich« ist in seinem Kern auch ein ›buddy movie‹. Der Jude Bruno und der Moslem Malik sind so etwas wie beste Freunde, und der Film weiß aus ihrer unterschiedlichen Herkunft kleine, versöhnliche Pointen zu gewinnen. Amüsant wird es, wenn es gilt, für Bruno eine Frau zu finden. Ein Vorhaben, das sich als äußerst schwierig erweist, weil bei jedem Kennenlern-Versuch ein Notfall dazwischen kommt. Und spätestens dann wird die Nähe zu dem großen Publikumserfolg der beiden Regisseure deutlich. Von Olivier Nakache und Éric Toledano stammt auch der Geniestreich »Ziemlich beste Freunde«.

Claus Wecker (Foto: © 2019 Prokino)
ALLES AUSSER GEWÖHNLICH
(Hors normes)
von Éric Toledano & Oliver Nakache,
F 2019, 113 Min., mit Vincent Cassel, Reda Kateb, Hélène Vincent, Bryan Mialoundama, Alban Ivanov, Benjamin Lesieur
Drama, Start: 05.12.2019

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