Wer Mäuse züchtet, sollte Katzen meiden
Die Abrechnung ist schonungslos – mit sich, mit anderen, mit ihrer Umwelt. Ihr ist, von früh an, übel mitgespielt worden. Sie hat sich selbst aus all dem Schlamassel befreit und schleppt doch dauerhaft diese Hypothek mit sich herum.
Vor allem aber hat sie eine Sprache gefunden, die aus ihrem Leben etwas anderes werden lässt: Literatur. In dem neuen Roman wollen Kenner der Szene einen bekannten Journalisten erkennen: Frank Schirrmacher, den 2014 verstorbenen Herausgeber der FAZ, mit dem Angelika Klüssendorf einige Jahre verheiratet war. Wie auch immer. Die packende Kraft dieses Romans verdankt sich allein seiner Poesie.
»Scheiße fliegt durch die Luft«, so endet Angelika Klüssendorfs Roman »Jahre später«, und so beginnt der Roman »Mädchen« von 2011, der erste Band ihrer Trilogie. Eine Kreisbewegung, die keinen Anfang hat und wohl auch kein Ende finden wird.
Im ersten Band hat das »Mädchen« noch keinen Namen, in den beiden folgenden Bänden heißt sie »April«.
Sie ist inzwischen dreißig Jahre, hat einen elfjährigen Sohn, Julius, schreibt und lernt bei einer Lesung Ludwig kennen. Ludwig, »weit auseinanderliegende Augen in einem Kindergesicht«, ist ein charismatischer Chirurg, gebildet, interessiert, aber auch ein Aufschneider, ein Spielertyp, der ständig unter Dampf steht. Als er nachts an ihrer Tür klingelt und sagt: »Ich will nie mehr ohne dich sein«, »ist sie geschmeichelt, aber auch erschrocken über sein Tempo«. Sie, die niemandem wirklich traut, fühlt sich anfangs sicher bei ihm, obwohl sie bald seine Aufschneiderei und Wichtigtuerei durchschaut. Seine Mutter trage nur »weiße, lange Kleider«, sein Bruder sei »ein hohes Tier bei der Nato«. Sie heiraten, bekommen einen Sohn, Samuel. Sie will diesmal, mit achtzehn Jahren hatte sie bereits ihr erstes Kind bekommen, eine gute Mutter sein, will alles richtig machen. Doch »ihre Dämonen« lauern überall. Ihre gewalttätige Mutter, die sie und ihren Bruder entweder schlug oder vernachlässigte, und ihr saufender Vater verfolgen sie immer noch. »Sie stellt sich vor, wie sie die Asche ihrer Mutter ins Klo schüttet und darauf scheißt«. April weiß, »dass sie ein beschädigter Mensch ist, lernt diese Beschädigungen ernst zu nehmen und dass auch sie dafür verantwortlich ist«. Ludwig scheint ihr, der »heimatlosen«, Halt zu geben. Manchmal machen sie und Ludwig verrückte Sachen. Sie öffnet den Vogelkäfig in einer Tierhandlung, er macht Anrufe mit verstellter Stimme, darüber können sich beide amüsieren. Phasenweise hat sie sogar »Vorstellungen von einem Familienleben«, doch dann kommen ihre Weinattacken und »Sturzbäche fließen über ihr klägliches Leben«. Ludwig entpuppt sich als ein Besessener, einer, bei dem Depression und Euphorie wechseln, selbst ein beschädigter Mensch, dem sie »genauso wenig helfen kann, wie er ihr«. Nach einigen Jahren trennen sie sich. In dem Scheidungskrieg erlebt April das Dämonische an Ludwig ungebremst. »Du wirst schon sehen, wie das ist, wenn mein Glanz nicht mehr auf dich abstrahlt« oder »Ich werde dich zertreten wie einen Parasiten«. Was Ludwig »seinen Feinden antut, kann er auch seinen Freunden antun, er muss sie nur zu seinen Feinden machen«. April wird auch das Scheidungsdrama überstehen, sie hat, weiß Gott, in ihrem Leben schon Schlimmeres mitgemacht. Der Kreis hat sich geschlossen. April ist oft gefallen. Aber immer wieder aufgestanden. Auch wenn für uns, ihre Leser, jetzt zu befürchten ist, dass diese Geschichte von April ihr Ende gefunden hat, möchte man doch wünschen, dass es weitergeht, und zwar gut für sie weitergeht.
Jeder Band dieser Trilogie ist in sich abgeschlossen – und für jeden Leser unvergesslich. Man sollte sie aber alle drei lesen. Man wird sie als Meisterwerk in Erinnerung behalten.