Weltenlauf und Ego-Shooter
Das Schwert des Raubes und der Mordlust führe er, spricht die Stimme aus dem vernebelten Off. Er sei kein Krieger Gottes, sondern ein Rebell, den auf Erden das Rad und der Galgen und im Jenseits die Verdammnis erwarte. Später werden wir diese Sätze wieder hören. Sie stammen von Martin Luther und gelten »einem der rechtschaffensten und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit« – Michael Kohlhaas.
Und während die Schwaden aus der Nebelmaschine sich verziehen, tritt Isaak Dentler, seit der ersten Reese-Stunde Mitglied des Frankfurter Schauspiel-Ensembles, im Turnschuh-T-Shirt »Just Do It!« vor Berufsschüler der Ludwig-Erhard-Schule in Unterliederbach. Der Schauspieler rezitiert Heinrich von Kleists Erzählung »Michael Kohlhaas«, die damit anhebt, wie der von Luther so herb Beschuldigte mit seinen zum Verkauf bestimmten Pferden auf einen neuen Schlagbaum stößt, den ein gewisser Junker Wenzel von Tronka errichtete.
»So?! Wenzel heißt der Junker.« Dentler lässt sich an Stellen wie dieser Zeit und wiederholt auch mal ein Wort, um seine vielfach aus Einwandererfamilien stammenden Zuhörer mit der Bedeutung dieses altertümlichen Begriffs vertraut zu machen. Verblüffend, wie schnell der Funke dabei überspringt. Liegt es an Kleist? Liegt es an Dentler? Dass hier einem aus purer Willkür auf das Übelste mitgespielt wird, entgeht jedenfalls niemandem. Auch, dass dem Gerechtigkeit einklagenden Mann der Kragen platzt und er zur Selbstjustiz schreitet.
Keine Frage, wem da die Sympathien gehören. Keine Frage allerdings auch, dass Kohlhaas‘ kompromissloser Rachefeldzug hochaktuelle Bilder weckt, wenn unter dem Jubel des Knechtes Herse hoch aus den Fenstern der Vogtei jener Burg Wenzel von Tronkas nicht nur die Leichen des Vogts und seines arroganten Verwalters fliegen, sondern auch deren Weiber und Kinder. Es ist die Hybris eines gottgesandten Wesens, des rächenden Erzengels Gabriel, mit der Kohlhaas sein Tun verklärt – und die hier verschreckt. Zum Auftakt schüttet sich Dentlers Ego-Shooter gegen das Weltgeschehen eine Flasche Theaterblut über, das ihn bis zu seiner willig akzeptierten Hinrichtung martialisch zeichnet.
Auf weitere gestische und mimische Untermalung verzichtend, lässt er dem Text den Vortritt, den er freilich auf die Kernproblematik der persönlichen Grenzüberschreitung und des infrage gestellten Wertesystems zugespitzt hat: Was ist zumutbar? Wie weit kann ich gehen? Wo sind meine Grenzen? Dass die nicht eben einfache, aber doch hochgenaue Sprache Kleists sich dafür als ein taugliches Vehikel erweist, überrascht indes eher Außenstehende als den Interpreten, der mit seinem Solo von Goethes »Werther« schon mehr als 100 Vorstellungen in Frankfurt gegeben hat.
Obwohl der Testlauf von »Michael Kohlhaas« in einer Schule stattfand, sei seine Kohlhaas-Adaption kein genuines Jugend- oder Schülerstück. Im Frankfurter Kammerspiel wolle er die im Nahkontakt mit Jugendlichen unverzichtbaren interaktiven Elemente seines Spiels zugunsten der Kleist’schen Sprache auf ein Minimum reduzieren.