Barock am Main: Grandioses Spiel um Molières »Der Geizige«

Batzedeiwel, Groschepetzer, Fennischfuchser, Erbsezähler, Knauser, Knicker – das ist das erste halbe Dutzend von Beinamen, mit denen Tochter, Sohn und Dienerin den Titelhelden belegen, bevor dieser selbst auf der Bühne erscheint. Am treffendsten dürfte der siebte sein: Ein »Allmei« wird Jean-Baptiste Molières ins Hessische übertragener Geizhals noch genannt, aber auch »Der Geizige« weiß nach Hausmacherart auszuteilen. Nur beim Geld und »allem, wo gewwe drin stickt« hält er sich zurück.
Molière hat seine Komödie »l’Avare« im Jahr 1668 zur Aufführung gebracht. Die hessische Fassung von Rainer Dachselt, der dem Franzosen Harpagon den Bände sprechenden Namen Krall übergestülpt hat, feierte 2012 Premiere bei Barock am Main im Bolongaro-Palast und liegt nun auch – nur leicht verändert – der Wiederaufnahme im Hof der Höchster Porzellan-Manufaktur zugrunde. Unter der Regie von Sarah Groß führt uns das von Michael Quast grandios angeführte Ensemble nicht nur den Geiz (»mer gewwe nix«), sondern auch die Herrschsucht des Haustyrannen vor Augen, der selbst die Zukunft seiner Kinder Elise und Martin nur als Quelle der Geldvermehrung sieht. Dass Krall sein Geld in einem Kästchen im Garten vergräbt, legt die Kehrseite seiner Generaltugend bloß: die permanente Angst vor Verlust. Aber es geht auch um Liebe und Eifersucht, um Diebstahl und Heuchelei in der mit durchgängig schrägen Charakteren besetzten Komödie.
Dick aufgetragen wird indes nicht nur in der Typenzeichnung, sondern auch bei der Schminke (Maske: Katja Reich) dieser extrem bunt herausgeputzten Schauspieltruppe (Kostüme: Salima Abardouch). Nur der Protagonist läuft im abgeschabten grauen Tagesrock trotz Geldsäckchen am Gurt etwas kümmerlich herum. Schreiend rot bis ins Haar – und auch sonst, wenn der Vadder grad weg ist, ziemlich vorlaut (»Ich zuerst«) – tritt der verschuldete Sohn Martin auf den Plan. Mit Randi Rettel als seiner dauergreinenden Schwester und mit der mehrfach sonderapplaudierten Stefani Kunkel als Kupplerin Sofie und wetterau’sche Gräfin gehört Jochen Döring zu den jungen Neuen aus der Freien Szene der groß aufgelegten Bühnen-Elf. Dominic Betz gibt den leicht alerten Liebhaber Elises, Alexander Beck erhält als Mester Jaques Prügel für Kutscher und Koch in Personalunion, Pirkko Cremer erschmächtigt sich als kindsfrauhafte Marianne die liebende Leidenschaft gleich beider Kralls und die wunderbare Ulrike Kinbach bietet als borstige Georgette dem Geizhals die Stirn – in einem Part, den vor elf Jahren noch als Nickel der unvergessene Matthias Scheuring gab.
In Gastrollen sorgen Andreas Wellanos Kommissar Strunz im Columbo-Trenchcoat und der stimmgewaltige Eric Lenke als Herr Gutwirt für gute Laune und Furore. Lenkes Gutwirt alias Cavaliere Buongustaio bereitet mit dem Seilbahnschlager »Funiculi Funicula« den heimisch gewordenen Bolongaros der Messestadt eine italienisch-hessische Hommage.
Der Schluss des Klassikers gehört mit dem Hausherrn und seiner dann doch einzig wahren Liebe, dem Dukatenkästchen, dem Darsteller Michael Quast. Die große Szene, deren tiefen tragischen Kern er spüren lässt (und der bald auch im Schauspiel verhandelt wird), krönt das restlos begeisternde Spiel des genialen Mimen. Stehende Ovationen für ihn, für alle, was sonst!

Winnie Geipert / Foto: © Andreas Malkmus
Bis 13. August: Di.-Sa. 20 Uhr, So. 16 Uhr
www.barock-am-main.com

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