Wir lieben Dich Martha. »Martha Rosler – in one way or another« in der Schirn

Aufgeregt und aufregend ist die Ausstellung, welche die Schirn der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin Martha Rosler gewidmet hat und die deren unruhig-kritischen Geist und ihre gesellschaftspolitische Schärfe allein schon im Aufbau spiegelt: Es gibt so viel zu sagen und zu zeigen im Kampf für eine gerechtere Welt, für eine Welt ohne Ausbeutung, gegen die von wirtschaftlichen Interessen befeuerten Kriege, gegen die Hegemonialansprüche der machtpolitischen Achsen, gegen die Domestizierung und Herabwürdigung politisch missliebiger Staaten (meistens und natürlich linke) gegen die Domestizierung und Herabwürdigung der Frau. Martha Rosler ist eine unentwegt weiterdenkende, weiter produzierende Künstlerin, sie ist eine Chronistin ihrer Zeit und zuverlässig auf der Seite der kleinen Leute. Sie benutzt deren Mittel, frei zugängliche Mittel, die Kamera und Super Acht Filme, und das einzige, und was man von ihr nun wirklich nicht verlangen kann, ist L‘art pour l‘art zu produzieren. Man stellt ihre Bilder nicht aus, man pinnt sie an die Wand.
Die leicht verschachtelte Struktur des Aufbaus greift nichts – sehr demokratisch – besonders heraus, wobei doch die Collagen der Werkreihe »House Beautiful: Bringing the War Home« allein schon so spektakulär sind, dass jede einzelne eine komplette Wand verdient hätte. Aber das wäre nicht in ihrem Sinne, seriell zu arbeiten ist ihr Konzept. Zwei Reihen hat sie davon produziert, die erste 1967–1972 galt dem Vietnamkrieg, die zweite, zwischen 2004 und 2008 entstanden, den Kriegen im Irak und Afghanistan. In diesen plakathaften Collagen thematisiert sie den Einbruch der Kriegsnachrichten in die aufgehübschte heile Welt der US-amerikanischen Middle Class, zeigt pompös frisierte, in Brokatcocktailkleidern gewandete Ladies in goldglänzenden Plüschinterieurs vor einem Fernsehbild, auf dem ein Soldat eine Vietnamesin mit verbundenen Augen zu erschießen droht. Oder man sieht zur Hinrichtung Knieende am Ende eines Laufstegs, ein Mannequin in kniehohen Stiefeln und gefärbtem Pelz schreitet den Catwalk ab wie eine blasierte Domina. Diese extrem grellen Zusammenstöße kennen keine Gnade: wie kann man solche Wirklichkeiten verdrängen, wie sie verdauen, und enthalten sie nicht eine grausame Logik: Genau so. Das eine ist die Konsequenz des anderen. Die Collagen übrigens sind nicht die Originale, sondern Kopien, so wie Martha Rosler auch nicht die Singularität ihrer Arbeiten wichtig war, sondern deren Verbreitung – als Flugblatt.
Milde kennt auch der zweite Pfeiler der Ausstellung nicht: »Body Beautiful, or Beauty knows no pain«, eine Collagenserie, die zwischen 1966 und 1972 entstand und von der man sich wünschte, Martha Rosler hätte eine Fortsetzung produziert. Denn es geht um die extreme Vermarktung von Frauenkörpern und um die auf Konsumierbarkeit ausgerichtete äußere Form, um Brüste, Beine, Po, auf hübsche glatte, nicht zu provozierende Gesichter, um niedliche »Massenware«, die genau so viel Sexappeal ausstrahlt, wie es für den männlichen Blick nicht bedrohlich wirkt. »Eine Frau, eine Mutter zu sein, bedeutet tausend Opfer auf sich zu nehmen, aber es lohnt sich – auf die lange Sicht.« Dies ist ein Zitat aus einem Interview, das Martha Rosler mit den Eltern eines sich zu Tode hungernden Mädchens geführt hat und das ebenfalls Teil dieser Serie ist. Was, so fragt man sich, hätte sie wohl mit Kim Kardashian, Beyoncé, Taylor Swift, Madonna oder Jennifer Lopez gemacht, den Pop-Idolen des heutigen Körperkults?
Zwischen diesen beiden Teilen schiebt sich ein dritter, fast privater, fast zärtlicher: ihre fast wehmütigen Fotoaufnahmen von dem sich gentrifizierenden Brooklyn. Die fotografierten Ladenfassaden von damals und heute illustrieren wie absichtslos den Wandel der Zeit anhand ramponierter Kioske zu Vintageläden oder auf Vintage getrimmten Cafés. Ebenso zärtlich, noch privater: »The Bowery in two inadequate descriptive systems«. Die unangemessenen Beschreibungssysteme: Wir sehen eine Reihe von gerahmten Schwarzweißfotografien, erneut Ladenfassaden, denen Wortbilder beigesellt sind. Die Fassaden sind völlig heruntergekommen, zugemüllt, verwahrlost, die Worte bilden Synonyme für Trunkenheit, Abhängigkeit, Elend. The Bowery im Süden von Manhattan ist heute ein hippes Kunstgalerienviertel, das seinen Aufstieg in die modische Welt dem Underground zu verdanken hat, wie es eigentlich überall auf der Welt der Fall ist. Die entdeckte das vom gesellschaftlichen Glanz völlig abgehängte Viertel für sich, nachdem es Heimstatt von Obdachlosen und Alkoholikern gewesen war. Auf den Fotos ist kein Mensch zu sehen, eine Martha Rosler denunziert nicht.
Die mittlerweile Achtzigjährige ermüdet keineswegs, Kriegsgeschehen zu dokumentieren, Quellenarchive anzulegen, Installationen zu ersinnen, um auf die Auswirkungen kriegerischer Konflikte auf die Zivilbevölkerung aufmerksam zu machen. Alles ist nachzulesen, nachzuschauen, nachzuspüren in dieser vibrierenden Überblicksausstellung, die schon bei der Rotunde beginnt. Dort schwebt ihr »Theatre of Drones« von 2013 über unseren Köpfen. Ein Artist Talk ist für Ende August angekündigt. Wie viel hat sie uns zu erzählen!

Susanne Asal / Martha Rosler, »The Gray Drape«, aus der Serie »House Beautiful:
Bringing the War Home, new series«, 2008, Fotomontagen,
Courtesy: The Artist, Galerie Nagel Draxler Berlin/Köln/München
Bis zum 24. September: Di., Fr.–So., 10–19 Uhr; Mi., Do., 10–22 Uhr
www.schirn.de

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