Schon der Anfang von Ari Asters neuen Film ist verstörend: Schwarzfilm, dann ein Lichtfleck mit ohrenbetäubendem Lärm. Man könnte meinen, es handele sich um einen nächtlichen Bombenangriff wie in Loznitsas derzeit im Kino gezeigtem »Luftkrieg«.
Doch es ist die Darstellung einer Geburt aus der Sicht des gerade Geborenen. Es ist der brutale Eintritt ins Leben, wie auch wir Zuschauer ihn einst erfahren haben.
Diesen Schock muss man im Auge behalten, um »Beau Is Afraid«, diese Albtraumkomödie, wie sie der Regisseur selbst genannt hat, zu verstehen. Denn Beau Wassermann (Joaquin Phoenix) hat sich davon nicht erholt, obwohl er sich mittlerweile »in den besten Jahren« befindet. Auch die Erziehung seiner jüdischen Mutter, die sich anscheinend die größte Mühe gegeben hat, hat bei der Überwindung dieses Traumas nicht geholfen. So bleibt jedes therapeutische Bemühen, zwischen eingebildeten und realen Ängsten zu unterscheiden, vergebliche Liebesmüh.
Dennoch spielt eine der ersten Szenen bei einem Psychotherapeuten (Stephen McKinley Henderson), der Beau die Angst vor dem bevorstehenden Flug zu seiner Mutter (Patti LuPone) zu nehmen versucht. Ob er nicht auch manchmal wünsche, sie sei tot, fragt der. Beau weist das ungläubig zurück. Das könne man, auch wenn man einen Menschen liebt, bekommt er als Erklärung.
Es hilft nur noch eine Beruhigungsdroge, die mit Wasser eingenommen werden soll. Aber auch das wird für den übernervösen Beau zum Problem, zumal vor seiner Appartment-Tür die Gefahr lauert und vor der Haustür ein bürgerkriegsähnliches Chaos herrscht. Dies allein als Beaus nach Außen gekehrte Innenwelt aufzufassen, dürfte wohl zu kurz gegriffen sein. Die dystopische Großstadtwelt taucht einfach zu oft in amerikanischen Filmen und TV-Nachrichten auf, um diesmal in ihnen eine massive Gesellschaftskritik übersehen zu können. Zumal das abgeschirmte, überdimensionierte Familienanwesen, das em Ende zu sehen ist, einen deutlichen Kontrast zu den Gewaltszenen im Armenviertel bildet.
Für einen Szenenwechsel braucht es schließlich einen Unfall, bei dem der gehetzte Protagonist von einem Auto angefahren wird. Als Beau erwacht, findet er sich im Zimmer der Teenager-Tochter Tonie (Kylie Rogers) des Chirurgen Roger (Musical-Star Nathan Lane) und dessen Frau Grace (Amy Ryan) wieder. Die guten Christen, deren Sohn bei einem militärischen Auslandseinsatz getötet wurde, pflegen ihn und wollen ihn auch zu der Beerdigung seiner zwischenzeitlich von einem Kronleuchter erschlagenen Mutter fahren, was jedoch von der rebellischen Tonie sabotiert wird.
Der Verdacht, dass all das fürsorgliche Gebaren nicht ganz echt sein könnte, wird bald bestätigt. Denn der noch nicht vollständig genesene Beau muss nach einem Zwischenfall vor den zu Rachgöttern mutierten Gutmenschen die Flucht ergreifen.
Er kommt in eine alternative Waldsiedlung, die sich wie die Büchermenschen in »Fahrenheit 451« der Kunst verpflichtet haben. Hier erfährt Beau seine Lebensgeschichte als Theateraufführung. Es könnte eine therapeutische Wendung zum Guten werden, wenn nicht am Ende das komplette Familiendrama seinen Lauf nehmen würde.
Es stellt sich nämlich heraus, dass Beaus Mutter, die ein riesiges Firmenimperium geleitet hat, nur bestrebt war, das klassische Bild der fürsorglichen Mutter, das in der jüdischen Variante besonders ausgeprägt ist, überzuerfüllen. Aber im Untergrund brodelten ihre Aggressionen. So bringt auch die aktuelle Begegnung mit seiner Jugendliebe Elaine (Horrorfilm-Schönheit Parker Posey) dem verwirrten Beau nur kurzes Glück. Zu übermächtig sind die Verletzungen der Vergangenheit, die Regisseur Aster in bester Horrorfilm-Manier von seinem ständigen Kameramann Pawel Pogorzelski schildern lässt.
Aster, der mit seinen 36 Jahren bereits den Ruf eines Ausnahme-Regisseurs besitzt, hat bei diesem Werk seiner Phantasie und seinem schwarzen Humor freien Lauf gelassen. Er führt das Publikum auf einem schmalen Grad zwischen Psychodrama und dessen ironischer Übersteigerung. Dass er kontroverse Geschichten erfindet, über die nicht jeder lachen kann, hat er schon mit »Hereditary – Das Vermächtnis« und »Midsummer« bewiesen. Dabei sind seine Erzählungen mit zwei, zweieinhalb und jetzt drei Stunden immer ausufernder geworden. Um solch einen, manchmal gewiss auch anstrengenden Filmkoloss zusammenzuhalten, braucht es einen Hauptdarsteller, der sich in den Sog der Ereignisse ebenso hilflos ziehen lässt wie der erwartungsvolle Zuschauer. In Joaquin Phoenix hat er ihn gefunden, und der Schauspieler hat seinem beachtlichen Repertoire eine weitere Glanzrolle hinzugefügt.