Beiläufig genial: »Der kleine Snack« an den Kammerspielen Frankfurt

Eigentlich muss man gar nicht viele Worte verlieren: in einer Zeit, in der es Mode geworden ist, aus Tragödienstoffen die Komödie hervorzukitzeln oder auch herbeizuzitieren, was von wechselndem Erkenntnisgewinn gekrönt wird – manchmal bleibt er auch ganz aus – setzt das unerschrockene Regieduo Nele Stuhler und Jan Koslowski gleich auf die Klamotte. Bunt, schrill, schräg, keine Angst vor großen Zitaten. Unter der Oberfläche platziert sie aber gemeinsam mit dem Ensemble – Achtung! Stückentwicklung! – so viele kluge Sätze, dass man sie am liebsten mitschreiben würde. Die wunderbaren Schauspieler*innen seien gleich am Anfang genannt, denn ohne sie würde dieser intelligente, wie beiläufig kapitalismuskritische Theaterspaß nicht funktionieren: Heidi Ecks, Anna Kubin, Lotte Schubert, Christoph Pütthoff und Mark Tumba machen aber auch jeden Blödsinn mit, einfach, weil sie sich ihn wohl selbst mit ausgedacht haben.
Der Einstieg gelingt über eine höchst alberne Tanznummer wie bei »Der alte Schinken«, mit dem das Regieduo vor ein drei Jahren seine Visitenkarte im Kammerspiel abgegeben hat. Und was da geklappt hat, klappt hier auch: So virtuos witzig ist das ausgeführt, dass der erste Szenenapplaus fällig wird, dem noch weitere folgen werden. Zack, und die Neugier ist geweckt.
Die Geschichte? Zwei relativ unterbelichtete aber doch unverhohlen nach Geld gierende Geschäftspartner*innen möchten eine Kücheneinrichtung an den Konsumenten bringen, der dann anschließend auch noch jeden weiteren Scheiß bitte dazu kaufen möge. Das läuft nach der uralten Erkenntnis ab, Konsum funktioniere dort, wo Bedürfnisse geweckt werden, die gar nicht da sind. Man muss nur die Begriffe ein bisschen aufpolieren. Space, Space Manager, Foodexperte, Challenge, Start-up, und schon läuft das Geschäft! Fröhlich unterwirft man sich dieser Maxime, obwohl die von der Werbeindustrie so abgegriffen ist, dass man sich wundert, dass sie immer noch wirkt. Klar, heutzutage machen das die Influencer, was dann scheinbar objektiver daher kommt, weil es subjektiv erscheint. Also klar: Konsum läuft über die Verblödung der Konsument*innen. Die sind in diesem Fall: vegan! Und dahinter steckt: Nichts!
Nichts wie bei der Kochshow, mit der diese monströse Küche an den Mann, an die Frau gebracht werden soll. Es fehlen ganz einfach die Zutaten. Macht nichts, die Leute glauben ja dran. Und nichts meint auch die Zeit, die man nicht hat, zum Essen beispielsweise. Keine Zeit zu haben, ist das höchste aller gesellschaftlichen Distinktionsmerkmale, und das, was man isst, auch. Vegan muss es sein, vegan ist die neue Religion aller Nicht-Zeit-Habender. Wobei natürlich nicht der Arbeiter am Fließband gemeint ist, der eine gute und gemeinschaftlich verzehrte Mahlzeit vermutlich zu schätzen wüsste. Der kommt in diesem Diskurs erst gar nicht vor. Essen ist allerdings auch die Sehnsucht nach Er-Füllung, belehrt uns dann Anna Kubin in einem kleinen eingespielten Film zur Musik aus »Die Verachtung« von Georges Delerue, und man muss höllisch aufpassen, nicht an Brigitte Bardot und Michel Piccoli zu denken, sondern an Anna Kubin, wie sie hier lustvoll simple Kartoffelchips beschreibt, und sie nicht weiß, ob sie die Chips isst oder die Chips sie?
Und wenn dann das ganze Vokabular durchbuchstabiert ist, food und space und Start-up, wird klar, dass jemand darin nicht vorkommt: der Mensch. Der ist in dieser Koordinatendenke nur ein Objekt.
Zürnender Theaterdonner grollt, sobald von nicht veganem Geschnetzelten die Rede ist und noch eine Menge solcher Scherze mehr, wobei Christoph Pütthoff sowieso der beste Showman ist, den das Schauspiel Frankfurt hat, Lotte Schubert das größte Entwicklungspotenzial ihrer Figur Sugar zugestanden wird, das sie auch lustvoll ausspielt, und die faszinierende Heidi Ecks als emanzipierte Expertin für Geflügel auf Renaissancegemälden die meiste un-vegane Distanz aufbringt. Diese schrille, leicht ins Blöd-Sinnige kippende Inszenierung könnte zum Kult werden, verdient hätte sie es allemal.

Susanne Asal /Foto: © Robert Schittko
Termine: 1. + 25. Februar, 20 Uhr
www.schauspielfrankfurt.de

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