Tiefes Atmen ist zu hören, erst langsam, dann immer schneller, bevor sich der Vorhang hebt und die Zuschauer im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters mit einem synthetischen Ungetüm in rosa-lila Farbe konfrontiert werden. Mit seinen Tentakeln erinnert es an eine krakenartige Hüpfburg, die die komplette Bühne von Mirjam Stängl einnimmt. Aus ihren Armen, Falten und Nischen treten nach und nach die einzelnen Figuren hervor.
Regisseurin Rieke Süßkow hat das Drama »Der staubige Regenbogen« des deutschen Schriftstellers und Aktivisten Hans Henny Jahnn (1894–1959) in einer fragmentierten Fassung inszeniert. Es schildert die Folgen der Arbeit des Atomforschers Jakob Chervat (Andrea Quirbach): Zum einen hat ein Atomunfall 8.000 Menschenleben gekostet, zum anderen haben seine Experimente der Regierung zu einem Rüstungsvorsprung verholfen, den der machtgierige Funktionär Sarkis (Leandra Enders) zu einem Präventivkrieg nutzen will. Doch auch auf privater Ebene zeitigt Chervats Forschung böse Folgen: Seine Frau (Max Kurth) bringt ein missgebildetes Kind zur Welt und sein Sohn Elia (David T. Meyer) leidet unter Haarausfall und Pestbeulen.
»Der staubige Regenbogen« ist die letzte literarische Arbeit von Hans Henny Jahnn, die posthum aus dem Nachlass veröffentlicht wurde und vor dem Hintergrund der Ausbreitung der Atomwaffen während des Kalten Krieges entstanden war. Jahnn war nicht nur glühender Gegner der atomaren Aufrüstung, sondern wies bei jeder Gelegenheit auf die generellen Gefahren von Atomenergie hin.
Im Stück spielt neben Chervat auf wissenschaftlicher Ebene noch die Biologin und Ärztin Dr. Lambacher (Lisa Eder) eine Rolle, die grausame Experimente auf radioaktiver Basis an Menschen durchführt. Und es gibt die Widerstandsbewegung »Bund der Schwachen«, die sich jedoch weniger durch Protestaktionen, als durch ihre eigene Beziehung zur Sexualität auszeichnet. Im Spiel drückt sich diese Setzung in lasziven Bewegungen der geschlechtlich durchgehend umgepolten Figuren (Männer spielen Frauenrollen und umgekehrt) aus. Und darin, dass man das Bühnenbild auch sexualisiert als Abbild männlicher und weiblicher Genitalien sehen kann. Umso mehr, wenn sie am Ende gar jegliche Hemmungen fahren lassen und sich die Kleider von ihren mit Geschwülsten überwucherten Leibern reißen (Kostüme: Sabrina Bosshard). Eine letzte Orgie, bevor alles vergeht und der Organismus (in diesem Fall die Stoffkrake) in sich zusammenfällt und das Atmen verstummt.
Es fällt schwer, den meist kurzen Dialogsequenzen oder einzelnen Satzfetzen der Figuren zu folgen, die nicht immer stringent angeordnet sind. Dabei helfen auch die Zeichentrickfilm-Sounds und Xylophon-Klänge (Musik: P. C. Mayer), die die Sprache rhythmisieren sollen und für den ein oder anderen Lacher sorgen, nur bedingt. Ein herausfordernder Theaterabend, der genügend aktuelle politische Anknüpfungspunkte bietet, ohne diese – was man Süßkow zugutehalten muss – auszunutzen.