Hosenrollen und Hosenböden
Wenn auf 20 Zuschauer ein Darsteller kommt, dann kann man sich leicht ausrechnen, was bei einer Kapazität von 800 Sitzen auf und um die Bühne der Burg Hayn los sein muss am 3. und 4. Juli. Dann nämlich rückt das Landestheater Marburg mit Ensemble, Bühnenorchester, Chor und Statisterie bei den Dreieichenhainer Burgfestspielen an, um zur »Dreigroschenoper« von Weill/Brecht aufzuspielen. Großes Kino.
Das klingt schon mal imposant, ist aber noch nicht der eigentliche Clou. Denn zum ersten Mal in der Aufführungsgeschichte des bald 100 Jahre alten Klassikers ist die Rolle des Macheath, sprich: Mackie Messer, mit einer Frau besetzt. Weil es die Brecht-Erben sehr genau nehmen, hat Regisseur Matthias Faltz für diesen doch ganz im Sinn des alten Meisters gedachten Verfremdungseffekt eigens die Erlaubnis einholen müssen. Oda Zuschneid schlüpft in die Hose und füllt sie, so man den Kritiken der mittelhessischen Kollegen folgen darf, ganz phantastisch.
Neben den Marburgern servieren im Juli auch die Bad Vilbeler Burgschauspieler veritables Musiktheater auf den Dreieicher Brettern: die Hippie-Schau »Hair« (25. – 27. Juli), von der Sie hier auf Seite 18 lesen können. In der Straße Musik ist auch das Holzhausenquartett um die – begnadete – Sabine Fischmann zu Hause, das Shakespeares »Sommernachtstraum« als Kammeroper zum Besten gibt und dabei keine der 26 vom Autor kreierten Rollen auslässt. Sprechtheater à la William kommt von Shakespeare & Partner aus Berlin, die Truppe gibt »Irrungen, Wirrungen« und verspricht zu zeigen, wie berechtigt der Titel dieser populären Zwillingsverwechslungskomödie ist (30. Juli). Auf die mystisch-okkulte Seite des Genres lädt das N.N. Theater Neue Volksbühne Köln mit »Nosferatu«, das mit vielen technischen Effekten an Murnaus hintergründigen Filmgrusel erinnert, schwarzweiß, versteht sich.
Wolfgang Barth, der künstlerische Leiter der Burgfestspiele, bietet zwar auch wieder bewährte Publikumslieblinge wie Konstantin Wecker oder das Ukulele Orchestra of Great Britain (6. Juli), hält aber auch Liebhaberangebote wie »Jazz in der Burg« (20.7. mit Frank Muschale, Radio Kings und Swinging Fireballs) und der »Blues Morning« (11.7. mit Big Daddy Wilson Band und Brixton Boogie) für ein weniger großes, dafür aber treues wie anspruchsvolles Publikum in Ehren. Zu den Neuen auf der Burg gehören im Juli der Kabarettist Jochen Malmsheimer mit »Halt mal, Schatz«, (11.) und die Chansonette Anna Depenbusch (14.) mit einem »Sommer aus Papier«.
Die Nachfrage ist groß, und etliche der 37 Vorstellungen, die an 35 Tagen gegeben werden, längst oder weitgehend ausverkauft. Wie Konstantin Wecker, die »Italienische Opernnacht« (5. Juli.) und natürlich die Verdi-Oper »Aida«, die das Festival am 11. August beschließt. Kein Wunder, weil dank der weithin überdachten Ränge (80 Prozent) niemand um den Abend oder seinen trockenen Hosenboden fürchten muss. Doch selbst bei den Tickets stirbt die Hoffnung zuletzt. Weggeschickt, versichert Wolfgang Barth, hat man beim Festival noch niemanden. Bisher jedenfalls.