Das Autoren-Duo Hoeps & Toes und ihr »Tallinn Twist«

Die Beiden sind ein wirklich besonderes Gespann. Hoeps und Toes sind das vermutlich erste internationale Autoren-Team, das die Sprachgrenzen überschreitend gemeinsam Kriminalromane veröffentlicht. Sie schreiben grenzüberschreitende Bücher, ganz im Geiste von Nicolas Freeling und dessen Inspektor Van der Valk. Thomas Hoeps lebt in Krefeld, leitet dort das Niederrheinische Literaturhaus. Jac. Toes ist Gerichtsreporter und lebt runde 120 Kilometer entfernt im niederländischen Arnhem. Ihr Erstling »Nach allen Regeln der Kunst« (»Kunst zonder genade«) wurde 2008 als einer der fünf besten Krimis der Niederlande für den niederländischen Krimipreis »Gouden Strop« nominiert und in die Top-Lijst zum Belgischen Krimipreis »Diamanten Kogel« gewählt. Inzwischen arbeiten sie 15 Jahre zusammen, können also Jubiläum feiern. Ihr gerade erschienenes Buch, der fulminante EU-Thriller »Der Tallinn Twist«, hat durch den Überfall Russlands auf die Ukraine eine erschreckende Aktualität gewonnen.

 

Frage: Thomas Hoeps, für Ihre Bücher schreiben Sie auf Deutsch und übersetzen die von Jac. Toes auf Niederländisch geschriebenen Kapitel ins Deutsche – und jetzt auch meine Fragen. Schön, dass Sie sich trotz zahlreicher Taermine Zeit für ein Interview nehmen. Legen wir los …

Jac. und Thomas: Zunächst einmal müssen wir sagen, wie schockiert wir über den Krieg in der Ukraine sind. In »Der Tallinn Twist« haben wir das Szenario der Destabilisierung ehemaliger Sowjetrepubliken als Vorbereitung auf einen echten Krieg als eine ständige und wachsende Sorge im Baltikum beschrieben. Dass diese Fiktion nun in der Ukraine schnell zu einer grausamen Realität geworden ist, hätten wir uns selbst in unserer kühnsten Fantasie nicht vorstellen können. »Der Tallinn Twist« erhält dadurch eine sehr makabre Aktualität, und die Worte der deutschen Botschafterin in Estland, mit der wir während unserer Recherchereise gesprochen haben, schwirren in unseren Köpfen herum: »Wenn die Russen wollen, stehen sie in zwanzig Minuten vor der Tür.«

Sie schreiben seit 15 Jahren zusammen Kriminalromane. Was ist für Sie je das Besondere dieser Zusammenarbeit?

Jac.: Wir sind ein kompensierendes Autorenduo: Wir verstärken einander nicht in den Eigenschaften, die wir bereits haben, sondern ergänzen uns in den Gegenteilen. In Beziehungen ist das nicht immer von Vorteil, aber bei uns funktioniert es perfekt. Zum Teil geht es dabei um unsere nationalen Unterschiede: deutsche Gründlichkeit vs. niederländische Lockerheit, deutsches Qualitätsbewusstsein vs. niederländische Flexibilität, deutscher Tiefgang vs. niederländische Heiterkeit. Außerdem erkennt der eine die blinden Flecken des anderen, bemerkt, wo der andere Möglichkeiten für einen stärkeren Text auslässt, und hat kein Problem damit, die Darlings des anderen zu töten. Und glaub es oder nicht, wir haben uns noch nie deswegen gestritten, wohl auch, weil wir uns an zwei Prinzipien halten: Erstens: Der Stil des anderen ist heilig, da schraubt keiner von uns dran herum. Zweitens: Wir gehen niemals einen Kompromiss ein, sondern überlegen so lange, bis wir beide zu 100 % zufrieden sind.

Thomas: Alles absolut richtig, wobei hinsichtlich der nationalen Eigenheiten zu ergänzen ist, dass sie kurioserweise regelmäßig vom einen zum anderen überwechseln. Nicht zufällig hat Jac. eine Vorliebe für die Präzision deutscher Kuckucksuhren und Pünktlichkeit, vielleicht ein genetischer Restbestand seiner vor sieben Generationen noch in Deutschland lebenden Vorfahren. Mich hingegen bezeichnet er gerne als einen schweren Fall von Transstaatsangehörigkeit, »ein Niederländer, gefangen im Körper eines Deutschen«. Wahrscheinlich sind wir auch wegen dieser inneren Grenzüberschreitungen so gute Freunde geworden.

Von OLAF, dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung, wissen wir als Zeitungsleser. Aber die EU-Security und jemand wie die Ermittlerin Marie Vos, wie nahe ist das an der Wirklichkeit?

Jac. & Thomas: Die EU-Security gibt es tatsächlich. Sie ist eine eher kleine und vor allem wenig bekannte Direktion der EU in Brüssel und gehört zur Generaldirektion Human Resources. Das Ziel dieser speziellen Abteilung ist herrlich vage formuliert: »Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes von Personal, Eigentum, Aktivitäten und Informationen.« Dieses Mission Statement kann in jede Richtung ausgedeutet werden, und wir als Spannungsautoren haben das sehr gerne genutzt. Wobei wir vermutlich nicht so weit weg von der Realität waren, diese Abteilung mit einer Spionageabwehroperation zu betrauen, nachdem ein hochrangiger Beamter dabei erwischt worden war, politisch wichtige strategische Informationen an Dritte weiterzugeben.

Überhaupt die Wirklichkeit: Das ist schon Markenzeichen und Anspruch bei Ihnen, oder? Wie würden Sie es formulieren?

Jac. & Thomas: Ja, eine gute Recherche ist schon unser Markenzeichen, aber damit wollen wir uns nicht besonders brüsten: Vor allem ist sie einfach die attraktivste Phase des Schreibprozesses. Dieses wunderbare Abenteuer mit seinen unzähligen unerwarteten, wertvollen Entdeckungen bietet noch alle Freiheiten der Welt, um spontan in alle Richtungen zu gehen. Ziemlich verlockend, diese Entdeckungsreise ewig fortzusetzen, aber irgendwann muss man doch einen Plot und die Hauptfiguren entwickeln, die Konstruktion, in der wir dann unseren Recherchen einen Platz geben. Quantitativ ausgedrückt: Höchstens 25 % unserer Recherchen fließen in unsere Kriminalromane ein.
Beim »Tallinn Twist« hatten wir das große Glück, Estland noch kurz vor dem Corona-Lockdown zu besuchen. Ein Glücksfall: Es war uns klar geworden, dass die Geschichte im Winter spielen sollte. Also sind wir Mitte Februar 2020 noch schnell nach Tallinn geflogen.
Für uns faszinierend: Es geht im Roman ja um das Recht auf Wasser und den Kampf dagegen, ein überlebenswichtiges Gut zu kommerzialisieren. Aber bei unseren Gesprächen in Tallinn und bei der späteren Quellenrecherche rückte für uns immer mehr auch die russische Bedrohung des Baltikums und zugleich die in mehrfacher Hinsicht unheilvolle Rolle des Rechtsnationalismus in den Vordergrund. Das hat dem Roman noch mal eine ganz besondere Richtung gegeben. Eine, die jetzt durch die Ukraine-Krise nochmals furchtbar an Brisanz gewonnen hat.
Kurz gesagt, unsere Geschichten müssen neben interessanten, vielschichtigen Charakteren immer auch gesellschaftliche Relevanz besitzen, sonst wäre die lange Arbeit daran für uns nur Zeitverschwendung.

Es muss Ihnen ungeheuer Spaß machen, zum Beispiel mit Marie Vos und ihrer Task Force die ganzen kriminalliterarischen Potentiale des Politik- und Wirtschaftsraums EU, die ganze Bürokraten- und Schattenwelten als »Stoff« zur Verfügung zu haben … Wie sind Sie darauf gekommen? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Jac.& Thomas: Auf der Frankfurter Buchmesse 2019 hatten wir ein langes Gespräch mit unserem Schweizer Verleger Lucien Leitess, in dem wir unsere weiteren Pläne besprachen. Als bekannter Verleger für Weltliteratur brachte Lucien die Idee auf, uns dieses Mal nicht auf unsere Heimatländer Niederlande und Deutschland zu beschränken, sondern den Blick über ein paar Grenzen mehr hinweg zu richten. Brüssel als europäische Hauptstadt kam uns schnell in den Sinn, und die Trinkwasserversorgung als Casus Belli war etwas, das wir oft diskutiert hatten. Außerdem interessierte uns Nordosteuropa schon länger als Spielort, und als wir lasen, dass die Stadt Tallinn von seinem privaten Wasserversorger auf 90 Millionen Euro Schadensersatz verklagt worden war, hatten wir unser Setting. Ergänzt um die verschiedenen EU-Institutionen, die sich als Glücksgriff erwiesen, nicht nur wegen der Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedsstaaten und dem daraus resultierenden politischen Spiel, sondern auch wegen des ewigen Konflikts zwischen Reden und Handeln. Da kann man der Story schon eine ordentliche Dosis Humor injizieren, und die diversen Konflikte aufeinanderprallen zu lassen, ist eine ergiebige Spannungsquelle.

Sie sind auf eine Goldader gestoßen. Warum gibt es so wenig Romane aus dieser Welt? Was ist Ihre Vermutung?

Jac. & Thomas: Angst vorm Sprung ins kalte Wasser, fürchte ich. Von außen betrachtet ist der EU-Apparat in Brüssel natürlich eine Ansammlung von langweiligen Beamten, die tagein tagaus in endlosen Sitzungen bürokratische Wortungetüme austauschen. Um die für einen Krimi nötige Spannung zu erzeugen, ist das jetzt nicht das naheliegendste Setting.
Das war für uns auch eine der Herausforderungen. Die Abläufe bei solchen Vertragsverhandlungen mit mehreren widerstrebenden Interessen nicht aus Gründen der Authentizität eins zu eins darzustellen, sondern als Motor für eine spannende Handlung und zur Charakterisierung lebendiger Figuren zu nutzen. Und das im hohen Erzähltempo eines Thrillers. Wahrscheinlich haben wir beim Überarbeiten eines Romans hinterher noch nie so viel wieder gestrichen wie bei diesem.

»Die Cannabis-Connection« und »Der Tallinn-Twist«, so könnten auch Romantitel von Ross Thomas lauten. Sehen Sie sich in seiner Nachbarschaft? Und mit welchen Autoren würden Sie sonst noch gerne ein Glas heben?

Jac.: Als ehemaliger Radioreporter mit eigener Krimikolumne habe ich so viel gelesen, dass ich nicht mehr sagen kann, von wem ich in welchem Umfang beeinflusst wurde. Wer mir spontan als großer Meister einfällt: John le Carré, der immer wieder großartig die Zerstörung persönlicher Integrität und Liebe im Widerstreit mit institutioneller Loyalität beschrieben hat. Mit ihm hätte ich gerne einen guten Whisky getrunken. Der zweite ist der flämische Krimiautor Jef Geeraerts, der zeigte, wie man seine Rechercheergebnisse zu einem natürlichen und integralen Bestandteil des Plots macht. Überhaupt war Jef Geeraerts für mich ein vorbildhafter Rechercheur, weil er alles am eigenen Leib erfahren wollte, bevor er darüber schrieb. Er ging sehr weit darin: Nach eigener Aussage habe er einmal Menschenfleisch gegessen, um beschreiben zu können, wie es schmeckt. Als Vegetarier würde ich ihm das nicht nachtun, aber er hat mich doch dazu inspiriert, meine Kriminalromane über eine Live-Recherche als unverzichtbare Basis zu entwickeln.

Thomas: Tatsächlich ist Ross Thomas einer der wenige Krimiautoren, von denen ich fast alles gelesen habe. Hammer-Dialoge, feinster Noir-Style, großartiger Zynismus und Humor – und es ist eigentlich völlig egal, worum der Fall sich eigentlich dreht, irgendetwas in einer durch und durch korrupten Politblase und mit desillusionierten Geheimdienstlern. Ich weiß meist eine Stunde danach nicht mehr, was es genau war, nur noch, dass ich eine verdammt grandiose Zeit damit hatte. Und das, obwohl es ziemlich weit weg von dem ist, was ich mir für meine Geschichten an gesellschaftlicher Relevanz wünsche. Also sehr gerne Bourbon on the rocks mit Ross Thomas in Mac’s Place.

Alf Mayer (Foto: © Jörg Wüstkamp)

Thomas Hoeps und Jac. Toes: Der Tallinn Twist.
Unionsverlag, Zürich 2022. 320 Seiten, 18 €

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