Das English Theatre Frankfurt unterstreicht mit »Suddenly Last Summer« von Tennessee Williams seine Einzigartigkeit und Bedeutung

Man fühlt sich ein wenig an alte Hausbesetzertage erinnert. Denn ginge es nach dem Noch-Eigentümer des Gallileo-Turms, dann gäbe es das English Theatre Frankfurt schon seit dem 14. April nicht mehr an diesem Ort. Intendant Daniel Nicolai und die Seinen aber haben den Räumungstitel einfach ignoriert und stattdessen »Suddenly Last Summer« von Tennessee Williams zur Premiere gebracht. Well done!
Denn siehe da: Plötzlich scheint es möglich, dass Stadt, Bank (Commerzbnk) und Käufer des Areals (CapitaLand) an einen Runden Tisch finden, um die beim Verkauf vernachlässigte städtische Klausel zur kulturellen Nutzung des Gebäudes zu besprechen. »Zeitnah«, wie es heißt, was hoffentlich nicht das Gegenteil meint.
Auf der Souterrainbühne des Hauses finden derweil abendlich die Protagonisten dieses 1957 verfassten Dramas zusammen, weil die ältliche steinreiche Witwe Mrs. Violet Venable das Andenken ihres abgöttisch verehrten Sohnes Sebastian gefährdet sieht, der auf einer Reise in Spanien unter mysteriösen Umständen ums Leben kam. Grund dafür sind die verwirrenden Schilderungen seiner Nichte Catharine, die Sebastian begleitet hatte und seither traumatisiert in einer Anstalt behandelt wird. Dr. Cukrowicz, ein ambitionierter junger Hirnspezialist, dem die Lady dicke Unterstützung für seine Klinik in Aussicht stellt, soll die Leidende mit einem Eingriff von ihren irren Erinnerungen befreien. Auch Mutter und Bruder, denen viel Geld aus Sebastians Nachlass winkt, kommen zum finalen Check und setzen Catharine unter Druck. Wie in »Die Glasmenagerie« macht Tennessee Williams die Gehirnoperation seiner eigenen Schwester Rose zum Thema. Aber nicht nur das.
Das Publikum wird beim Eintritt mit einer rostrot leuchtenden Bühnenwand (Eleanor Bull) konfrontiert: lodernde Flammen, aus denen rauchige Dämpfe steigen, eine feurige Wüste, über die erdiger Staub weht, untermalt von einem dröhnendem Sound, der an die Stoner-Musik von Mark Lanegan & Co. erinnert. Zur Linken ein Sitzarrangement mit Tisch und ein Rollstuhl, zur Rechten damit kontrastierend eine rechteckige Platte von der Größe einer Plakatwand in metallenem Graublau. Der Boden ist erdig.
Gleich im ersten Satz stellt die am Gehstock auf unsicheren Beinen eintappende Mrs. Venable (Kathryn Pogson) dem Arzt (Jared Garfield) dieses Areal konterkarierend als Dschungelgarten ihres toten Sohnes vor, der hier seiner Vorliebe für fleischfressende Pflanzen frönte. Doch verdorrt und verkommen ist der Ort inzwischen, ein Spiegel ihrer Befindlichkeit. Sebastian aber ist der weißhaarigen Greisin im fliederblauen Kleid ein und alles: ein Heiliger, ein Jahrhundert-Poet, ein ewig junger Dorian Gray, mit Hang zum Glamour und zur Extravaganz. Catharine (Katie Matsell) dagegen, die aufgelöst und extrem labil in weißem Kleid mit einer sie beaufsichtigenden Anstaltsschwester zum Treffen kommt, malt das Bild eines exzentrischen Egoisten mit wahnhaften und sadistischen Zügen, eines kranken Menschen, der gleichwohl ein Rätsel bleibt, wie auch sein nach der Injektion eines Wahrheitsserums geschildertes grausames Ende.
Der von zwei groß angelegten Monologen Violets und Catharines strukturierte Einakter wird in der Regie von Josh Seymour so pur inszeniert, dass man ihn für eine Aufzeichnung aus den Fünfzigern halten könnte, gäbe es nicht dieses düstere Rot des Südens, und jene seitliche Projektionsfläche, auf der Nähe und Distanz der Figuren immer wieder in Schattenspielen ausgeleuchtet werden – nebst einer berückenden Trance-Tanzszene des Arztes mit Catharine. Regietechnisch nicht ganz so glücklich ist die auslaufende, großartige Schlussszene, die Catharines Mutter (Gretchen Egolf), Bruder (Daniel Bravo) und Schwester (Flora Dawson) über lange Minuten zum Stillhalten zwingt. So still und fasziniert wie die sich glänzend einpassenden Darsteller ist aber auch der ganze Saal.
Williams‘ genialische Dialoge und tiefgründige Figurenzeichnung, zwei immens starke, den Ablauf stets in Balance haltende Schauspielerinnen und der das Drama unentwegt zur Klimax treibende Arzt als Katalysator sorgen für 90 wie im Flug vergehende Minuten. Und für einen Theatergenuss, den es nicht nur der Sprache wegen – das Stück ist vergleichsweise leicht zu verstehen – nirgendwo anders gíbt. Das aber hoffentlich, hoffentlich, hoffentlich hier noch lange!

Winnie Geipert/ Foto: Suddenly Last Summer, © Kaufhold
Bis 4. Juni: Di.–Sa., 19.30 Uhr, So., 18 Uhr
www.english-theatre.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert