»Das Lehrerzimmer« von Ilker Çatak

Zwischen den Fronten

Ihre erste Stelle wird für die junge Sport- und Mathematiklehrerin Carla Nowak (Leonie Benesch) eine Feuerprobe der besonderen Art. Ihre Klasse hat sie anfangs gut im Griff. Das Begrüßungsritual, das sie mit ihren Schülerinnen und Schülern eingeübt hat, könnte aus der »Feuerzangenbowle« stammen (man traut seinen Augen nicht). Doch als eine Diebstahlserie an dem Gymnasium einsetzt und sie auf eigene Faust ermittelt, gerät sie zwischen alle nur möglichen Fronten.

Häufig hat, wer den Lehrerberuf ergreift, ziemlich viele Ideale im Kopf. Dabei könnte die eigene Schulzeit auch zur Warnung dienen. Meine besten Lehrer unterlegten ihr Einfühlungsvermögen mit einer gewissen Distanz (wenn nicht in schlechten Momenten sogar mit einer Prise Sarkasmus). Denn lernen musste ich schließlich selbst, und es war meine Entscheidung, mich von ihnen anleiten und auch kontrollieren zu lassen oder eben nicht. Die Techniken, die ich dabei in Bezug auf Unterrichtsstoff und soziales Verhalten gelernt habe, sind mir übrigens immer hilfreich geblieben.
Heutzutage ist die Position der Lehrer viel schwächer geworden. Sie müssen nachholen, was zu Hause versäumt wurde, und sich nicht nur vor ihren Vorgesetzten, sondern auch vor den Schülern und deren Eltern viel intensiver rechtfertigen. Mit anderen Worten: ihre Autorität wird ständig infrage gestellt, ihr Verhalten ist einer permanenten Kontrolle ausgesetzt.
In seinem Film lässt Regisseur Ilker Çatak eine mustergültig motivierte junge Lehrerin zwischen ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit und den geltenden Persönlichkeitsrechten samt Datenschutz straucheln. Es fängt harmlos an: Nach mehreren Vorfällen wird erst einmal unter den Schülerinnen und Schülern mit peinlichen Befragungen und Geldbörsenkontrollen nach dem Dieb gesucht, was Carla zu Recht empört.
Deshalb ergreift sie unbefugt die Initiative und filmt heimlich ihre Jacke, die sie über eine Stuhllehne im Lehrerzimmer gehängt hat. So kann sie die Sekretärin Friederike Kuhn (Eva Löbau) als die Täterin identifizieren, die Geld aus der Innentasche entwendet hat. Als Carla sie zur Rede stellt, streitet sie alles ab und gibt sich als beleidigtes Unschuldslamm, was wiederum Carla dermaßen aufregt, dass sie ihr Video der Schulleiterin Dr. Bettina Böhm (Anne-Kathrin Gummich) präsentiert. Aber weil die Aufnahme gegen Persönlichkeitsrechte verstößt, darf der ganze Vorgang nicht öffentlich gemacht werden.
Stattdessen machen Gerüchte die Runde. Die beschuldigte Sekretärin bleibt von der Schule fern, ihr talentierter Sohn Oskar (Leonard Stettnich), den Carla unterrichtet, gerät unter Druck und greift zu räuberischen Mitteln, um sich über seine Mutter Klarheit zu verschaffen. Ein Elernabend wird für Carla, die sich zum Verschweigen und Lavieren gezwungen sieht, zum Fiasko, und die aktuelle Ausgabe der Schülerzeitung darf nicht im Haus verteilt werden.
Im Mittelpunkt steht aber das Lehrerzimmer, in dem diverse Animositäten aufflammen. Es bilden sich Grüppchen, besonders die männlichen Kollegen üben sich in Heuchelei, der deutschen Standarddisziplin. Es klingt ziemlich abgedroschen, aber dem Film gelingt es tatsächlich, die Schule als ein Spiegelbild der egomanischen Gesellschaft darzustellen – mittendrin eine famose Leonie Benesch in der Hauptrolle.
Maren Aden brauchte in »Der Wald vor lauter Bäumen« noch surrealistische Anleihen, um das Scheitern einer schwäbischen Lehrernovizin an einer Karlsruher Schule zu zeigen. Ilker genügt rund zwanzig Jahre später eine biedere Fernsehästhetik. Das mag man als Kinofan bedauern, es wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die gesellschaftliche Entwicklung hierzulande.

Claus Wecker / Foto: © Alamode Film
>> TRAILER
DAS LEHRERZIMMER
von Ilker Çatak, D 2023, 98 Min., mit Leonie Benesch, Michael Klammer, Rafael Stachowiak, Eva Löbau, Leonard Stettnisch, Anne-Kathrin Gummich, Komödie
Start: 04.05.2023

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