Das Museum Wiesbaden ist den »Schmetterlingen auf der Spur«

Dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Orkan in Texas auslösen kann, ist eine vertraut gewordene Metapher der Chaostheorie. Nicht ganz so stürmisch wird es in den Räumen der naturhistorischen Sonderausstellung »Schmetterlingen auf der Spur« im Museum Wiesbaden. Gleichwohl kann die sich über drei große Räume und 700 Quadratmeter erstreckende Schau ihr Publikum in Wallungen bringen: angesichts der empfindsamen Schönheit der Tiere; angesichts der Faszination der Metamorphose der Raupen, angesichts filigraner Zeichnungen und kunstvoller Fotografien, und natürlich auch – ohne diesen Magenbitter gibt es keine Flora- und Fauna-Präsentation mehr – angesichts der existentiellen Gefährdung der Spezies durch den zerstörerischen Umgang mit der Natur.
Zu Gute kommt den Besuchern, dass die Schmetterlingssammlung der Naturhistorischen Abteilung mit gut 800.000 Präparaten die größte Teilsammlung des Hauses ist. Für die Ausstellung hat das Team um Abteilungsleiter Fritz Geller-Grimm rund 500 prachtvolle Exemplare ausgesucht, um den Artenreichtum der tages- und nachtaktiven Tiere zu demonstrieren. Dabei geht es in Vitrinen, Dioramen, auf Infotafeln und Zeichnungen bei weitem nicht nur um betörende Farbmuster exotischer Schmetterlingsarten, sondern auch um die verblüffende Vielfalt der heimischen Falterszene.
Unter vielem anderen erfährt man so, dass der Eichenbaum zu den Favoriten der deutschen Schmetterlinge zählt, haben doch über 100 Arten ihre Lebensbedingungen ganz auf diesen Baum abgestellt. An der Birke halten es im Vergleich nur 18 aus, an den allseits beliebten immergrünen Kirschlorbeer deutscher Vorgärten wagt sich nicht einer, was zugleich ein Licht auf die Bedeutung der Ökosysteme wirft. Einige Falter, darunter das Tagpfauenauge legen ihre Eier ausschließlich an Brennnesseln ab. Ein Hingucker nicht nur für den Nachwuchs dürften die Glaskästen mit den nimmersatt vor sich hin fressenden lebenden Raupen sein. Hochspannend ist auch das 18-fach vergrößerte bedrohlich wirkende Supermodell der Kaisermantelraupe in Verteidigungsposition. Sein Erbauer, der Mainzer Detlev Gregorczyk, ist Weltmeister der Präparationskunst.
Wiesbadens herausragende Stellung in der Schmetterlingsdisziplin gründet natürlich auch in den Hinterlassenschaften der Naturforscherin Maria Sibylla Merian, die nach der großen Ausstellung vor zwei Jahren, zwar nicht übergangen, aber mit einigen ihrer Zeichnungen eher am Rande gewürdigt wird. Ganz genauso wie die renommierte historische Sammlung von Johann Christian Gerning. Dafür entfaltet das Museum die feinen Aquarelle und Zeichnungen des Illustrators Johann Brandstetter auf breitem Raum, rund 50 seiner hier spektakulär an die Wände drapierten Bilder sind von einfühlsamen, teils lyrischen Texten und Skizzen umgeben, die von der Lebensweise der beobachteten Tiere handeln und in freier Beobachtung entstanden sind. Eine Regenwaldkolonie, ein der Seidenraupe gewidmeter Sektor oder auch die anschauliche in Corona-Heimarbeit der Museumsmitarbeiter entstandene Origami-Schmetterlingswolke sind weitere lohnende Facetten dieser ungemein vielfältigen Ausstellung, die ihre Gäste trotz aller Flatterhaftigkeit nicht ohne Appell entlässt.

Lorenz Gatt (Foto: © Museum Wiesbaden)

Bis 31. Januar 2021: Di., Do., 10–20 Uhr; Mi., Fr., 10–17 Uhr; Sa., So., 10–18 Uhr
www.museum-wiesbaden.de

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