Emanzipation und Experiment: Die fünfte RAY Triennale

Während sich die RAY Triennale langsam auf den Zenit zubewegt – die ersten Ausstellungen enden im August – dann wird eines besonders sichtbar: nicht nur die Präsentation der neuesten Arbeiten, sondern auch das Ausgraben fast verschütteter Werkbiografien ist ungeheuer wertvoll und bereichernd. Widmet sich die Deutsche Börse in ihrem Ausstellungsforum The Cube u.a. der Erforschung des Einsatzes von KI und der Bewahrung der Erinnerung mit vielfältigen Mitteln und Techniken, birgt das Historische Museum in einem überbordenden Ausstellungsparcours Schätze der städtischen Selbstbespiegelung – aus weiblicher Sicht.

Beschreiblich weiblich – »Frankfurt, Stadt der Fotografinnen 1844–2024« im Historischen Museum

Marta Hoepffner, Selbstporträt im Spiegel © Historisches Museum Frankfurt/Foto: Marta Hoepffner

Möglichkeit macht Kunst: Dass sich viele Frauen schon von Beginn an der Fotografie als künstlerisches Medium zuwandten, lag auch daran, dass sich auf diesem Feld Studier-und Erwerbsmöglichkeiten ergaben. Wo ihnen Zugang zu öffentlichen Kunstakademien und Galerien verwehrt, Einnahmen nicht möglich waren, konnten sie auf diesem Feld brillieren, Aufträge annehmen und sogar eigene Fotostudios ausstatten. Die Frauen der ersten Stunde hießen Julie Vogel und Katharina Culié, von denen kostbare Salzpapierabzüge ausgestellt sind, und ein Foto zeigt die Kinder der Kaiserin Sisi in einer Gondel in Venedig.
Dies nur als kleine, aber wichtige Randbemerkung. Die Geschichte der Fotografie verwebt sich mit der Geschichte der Emanzipation, dies ist für die Kuratorinnen des Historischen Museums evident. Frauen, Fotografie, Frankfurt – ein unverrückbares Dreigestirn. Der Schweinwerfer richtet sich auf das fotografische Gedächtnis der Stadt, das sich durch den Protagonismus der Fotografinnen zum emanzipatorischen und gesellschaftspolitischen rundet. Sie sind vor allem eines: mitfühlend. Sie begleiteten die Entstehung des Neuen Frankfurt wie Ilse Mayer Gehrken, Grete Leistikow und Ella Bergmann-Michel, sie zeigten Sexarbeiterinnen und eine Demo gegen Abtreibung bereits im Jahr 1935 (Gisèle Freund), sie feierten die Neue Frau (Ilse Bing, Carry und Nini Hess), sie dokumentierten Straßenkampf, migrantische Frauen-Arbeit (Erika Sulzer-Kleinemeier) sie leuchteten das innere Lebensgefühl der Nach-68ziger aus wie es in der Batschkapp, in der Distel, dem Lebensbaum und im Größenwahn zelebriert wurde, (Digne Meller Marcovicz) sie liebten das (Mitbestimmungs-)Theater und das TAT (Carry und Nini Hess, Mara Eggert, Abisag Tüllmann). Ihre Arbeitgeber waren Gewerkschaften, städtische Gremien, die Theater, Architekten. Neben dem Dokumentarischen und der Pressearbeit, neben Fotos von Mode und Schmuck – die es auch gibt 7 – wurden sie Zeuginnen des Wandlungsprozesses der Stadt und der Menschen, die in ihr leben.
In dieser Schau wird das Biografische mit der Arbeit verknüpft, wird das Verbindende zwischen den Fotografinnen herausgestellt, ihre Solidarität untereinander gefeiert, auch ihre Liebe (Marta Hoepffner, Irm Schoffers) . Fünf chronologisch geordnete Säle mit mehreren Einzelkabinetten (z.B. für Fotografinnen, die sich in den Dienst des Nazi-Regimes stellten) enthalten nicht weniger als 450 Arbeiten von 40 Künstlerinnen, begleitet von kurzen Zwischenstopps zur fotografischen Technik. Wobei der aktuelle experimentellere und fotokünstlerische Bereich mit Arbeiten und Foto-Installationen von u.a. Sandra Mann, Wagehe Raufi und Susa Templin vertreten wird. Hier wird der Stadt-Bezug offener, auch spielerischer zelebriert.

Bis 22. September: Di.–So., 11–18 Uhr, www.historisches-museum-frankfurt.de

Erinnerung ist auch Absenz – The Cube, Deutsche Börse

Nicholas Nixon, The Brown Sisters,1975 – 2022, New Canaan, USA 1975 © Nicholas Nixon, courtesy Fraenkel Gallery, San Francisco

Mit Kompassnadeln kann man sich nicht durch das Dickicht der Erinnerung schlagen, aber wie kann man sie fotografisch bannen? Oder: Erinnerungen heraufbeschwören, die es so vielleicht nie gegeben hat? Wohin kehrt man zurück? Wo vermischt sich die gesellschaftspolitische Aussage mit der Aussage über die eigene Kindheit, z.B.?
Acht Positionen dazu haben die Kuratorinnen des Cube in der Deutschen Börse zusammengestellt und einen kleinen Kosmos aus unterschiedlichen Blickwinkeln komponiert. Da ist das Anonymous Project des US-Amerikaners Lee Shulman, der seinen senegalesischen Künstler-Kollegen Omar Victor Diop in Fotografien aus dem typisch weißamerikanischen Mittelstandsmilieu der 1950-und 1960ziger Jahre hinein kopiert hat. Luftschlangen-Partys, Familienporträts, Schneeschippen, Golf-Training – da steht/sitzt ein Schwarzer, der damals nicht dazu gehört hat und auch jetzt (noch) nicht dazu gehört. Die Fotos sind cool, weil Omar Victor Diop obercool ist – eine ganz ganz bittere Ironie, leichtfüßig serviert.
Kann man sich dem Reiz der Brown Sisters entziehen? Nein. Von 1975 an bis 2022 hat Nicholas Nixon seine Frau und ihre Schwestern in schwarz-weißen Halbporträts fotografiert, jedes Jahr in derselben Stellung und Haltung. Wir wissen nichts über sie, wie sie uns da fest anschauen, und wir werden nichts über sie wissen außer dem, was ihre Gesichter offen legen: die Spuren des Lebens. Berührend und doch fern.
Johanna Schlegel hat für »Memories I don’t have« das Familienalbum geplündert und Schnappschüsse, Urlaubsfotos, Diaporträts zunächst vergrößert, kopiert und anschließend einem chemischen Prozess unterzogen, bei dem die Farbpartikel aufgelöst werden und sich neu zusammenfinden. Anschließend hat sie ihre Arbeiten mit Klarlack überzogen, denn die Chemikalien setzen ihren Zerstörungsprozess auf dem Fotopapier weiter fort. Ein fotokünstlerische Annäherung an die Frage, was von Erinnerung selbst bleibt, wie sie sich fragmentiert, auflöst gar.
Im ersten Stock sind die Finalist*innen des Deutsche Börse Photography Foundation Prize zu sehen. Die Gewinnerin, Lebohang Kganye aus Südafrika, zeigt ein stimmungsvolles Panorama ihrer Kindheit in den Townships wie eine Theaterbühne: Schwarzweiß-Fotos ihrer Familie, ihrer Umgebung, aufgezogen auf Holzrahmen. Mit der Erfahrung von Verlust hat sich der aus Armenien stammende Syrer Hrair Sarkissian auseinandergesetzt: zu einem Tableau vereint sind 50 Aufnahmen von Orten, die jemand gesehen haben könnte, der verschwunden ist. Einen Flur, eine Tür, Fenster, ein Sofa mit einer »Hello Kitty«-Decke drüber. Ihr Schicksal ist unbekannt. Erinnern sich die Verschwundenen an diesen letzten Blick auf das, was einmal ihre Heimat war? Ebenfalls zu sehen: Gauri Gill mit ihren von Rajesh Vangad übermalten Fotos eines Adivasi-Dorfs, in denen die Zerstörung der Umwelt und der Community gebannt wird.
Welche Fundgrube an Reflektionen über das Erinnern hat auch diese Ausstellung da bereitgestellt!

Bis 22. September: Ein Besuch ist nur im Rahmen von Führungen und Veranstaltungen möglich, für die eine vorherige Anmeldung erforderlich ist. www.deutscheboersephotographyfoundation.org
Susanne Asal

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